Neben der Global- und Verflechtungsgeschichte, die den Horizont der lange Zeit ‚eurozentrischen‘ Geschichtswissenschaft eher mit exemplarischen Tiefenbohrungen auf allen Kontinenten erweitert, erfreut sich die sogenannte Welt- oder Universalgeschichte nach wie vor eines nicht kleinen Interesses. Sie reicht in Gestalten wie Poseidonios, Diodor und Orosius bis in die Antike zurück. Ihr wesentlicher Zug: Sie möchte ein Ganzes zur Darstellung bringen, gern „die Menschheit“ oder die „menschliche Zivilisation“ als „Welt“. Oft wurden sie als empiriefern, idealistisch-schöngeistig, mechanistisch, teleologisch oder krypto-eurozentrisch geschmäht; gleichwohl haben Gesamtentwürfe der Menschheitsgeschichte immer ihr Publikum gefunden. Sie kamen und kommen entweder als Produkte eines einzigen Kopfes daher oder als Sammelwerke mit Beiträgen mehrerer Verfasser, in einem Band oder in vielbändigen Produkten renommierter Verlage.
In Fortsetzung einer Kontroverse des 19. Jahrhunderts bieten derartige Werke oft eher Kultur- und Zivilisationsgeschichte und grenzen sich ab von der Geschichte der Staaten und ‚großen Männer‘. Neuere Entwürfe von „Big History“ betten den Menschen in die Naturgeschichte vom Urknall bis ins Anthropozän ein und erzählen seine Geschichte als Geschichte von Sprache und Kommunikation, von Technik und Naturbewältigung, von Ressourcenmobilisierung, Herrschaft und Macht, und neuerdings wieder als Wettlauf des Westens und der ‚Anderen‘ – an die Stelle von Aufstieg, Blüte und Niedergang sind Kategorien wie Vorsprung, „performance“ und Stagnation getreten. Peter Frankopan hat eben (2023) mit „The Earth Transformed“ eine Weltgeschichte vorgelegt, die konsequent von der Umwelt- und Klimageschichte her konzipiert ist.
Wir werden uns im Seminar ‒ nach einigen grundsätzlichen Vorklärungen und Geländevermessungen ‒ zum einen mit Entwürfen einzelner Autoren befassen; im Angebot sind u.a. Arnold J. Toynbee, („A Study of History“, 12 Bände, 1934–1961), ferner Bücher von Hans Freyer, Karl Jaspers, Ernst Nolte, Ian Morris, Yuval Noah Harari und zuletzt Ewald Frie. Wir werden sie in ihren jeweiligen Kontext stellen und die hinter ihren Entwürfen stehenden Konzepte so klar wie möglich herauszuarbeiten suchen. Gelesen bzw. vorgestellt werden sollen programmatische, typische sowie das Altertum betreffende größere Ausschnitte. Aus praktischen Gründen ist die Auswahl auf deutschsprachige bzw. ins Deutsche übersetzte (Toynbee, Harari) Autoren beschränkt; wer sich aber etwa mit den höchst einflussreichen Arbeiten von William McNeill befassen möchte, kann das gern tun! Bei Bedarf und entsprechender Teilnehmerzahl kann der Kreis der Autoren und Bücher erweitert werden, um ganz alte (Orosius, Ibn Khaldun), ältere (Hans Delbrück) und neuere (Ernest Gellner).
Zum anderen möchte ich die im 20. Jh. ebenfalls blühenden und prestigereichen universalhistorischen Sammelwerke ‒ exemplarisch ‒ in den Blick nehmen; dazu gehören die verschiedenen Ausgaben der Propyläen-Weltgeschichte, die zugleich etwas über die Zeit ihrer Entstehung verraten (Weimarer Republik, NS-Zeit, Bundesrepublik), aber auch aktuelle Projekte wie die sechsbändige „Geschichte der Welt“ der Verlage Harvard UP und C.H. Beck (eben erst abgeschlossen). Besonders charakteristisch für diese Art von Werken ist, dass sie zwar von Wissenschaftlern geschrieben wurden, jedoch andere Akteure ‒ Verlage, Herausgeber, angezieltes Publikum ‒ auf die Gestaltung beträchtlichen Einfluss ausübten.
Eine Liste mit genauen Angaben zu den behandelten Werken wird zu Beginn des Seminars bereitgestellt. Für den Überblick:
Ernst Schulin (Hg.), Universalgeschichte, Köln 1974; Patrick Manning, Investigating World History. Historians Create a Global Past, New York 2003; Jerry H. Bentley (Ed.), The Oxford Handbook of World History, Oxford 2012; Jürgen Osterhammel, Alte und neue Zugänge zur Weltgeschichte, in: ders. (Hg.), Weltgeschichte (Basistexte), Stuttgart 2008, 9-32; Ernst Schulin, Universalgeschichte und abendländische Entwürfe (2002), in: ebd., 49-63; Wolfgang Hardtwig, Philipp Müller (Hgg.), Die Vergangenheit der Weltgeschichte. Universalhistorisches Denken in Berlin 1880–1933, Göttingen 2010. ‒ Zu den universalhistorischen Sammel- und Reihenwerken s. jetzt Uwe Walter (unter Mitwirkung von Mailin Herjürgen und Richard Knaak), Hellas und das große Ganze. Die alten Griechen in „Welt¬geschichten“ zwischen Geschichtswissenschaft, Buchverlagen und Historischer Bildung (Studien zur Alten Geschichte, 36). Göttingen 2023.
Rhythmus | Tag | Uhrzeit | Format / Ort | Zeitraum |
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Modul | Veranstaltung | Leistungen | |
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22-2.1 Theoriemodul | Grundseminar Historiographie | Studieninformation | |
22-B4 Profilmodul Geschichtswissenschaft | Seminar | benotete Prüfungsleistung
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Studieninformation |
Die verbindlichen Modulbeschreibungen enthalten weitere Informationen, auch zu den "Leistungen" und ihren Anforderungen. Sind mehrere "Leistungsformen" möglich, entscheiden die jeweiligen Lehrenden darüber.
Regelmäßige Anwesenheit und Vorbereitung der zu lesenden Texte; zwei Studienleistungen, etwa: Präsentation eines wiss. Aufsatzes; Vorstellung und kritische Erörterung eines der behandelten Werke. Als Modulteilprüfungsleistung ist eine mündliche Prüfung nach den Vorgaben des Modulhandbuches (Modul 22-2.1) abzulegen.
Zu dieser Veranstaltung existiert ein Lernraum im E-Learning System. Lehrende können dort Materialien zu dieser Lehrveranstaltung bereitstellen: