Schattschneider hat vor mehr als fünfzig Jahren die Demokratie als „collaboration between ignorant people and experts“ beschrieben. Expertise bewegt sich in einem Spannungsfeld zwischen Wissenschaft und Politik, zwischen dem Arkanbereich politisch-administrativer Entscheidungsfindung und der Aufmerksamkeit multipler Öffentlichkeiten. In der Auseinandersetzung mit stets wechselnden Umwelten erbringen Expert*innen Übersetzungsleistungen; sie vermitteln Entscheidungssicherheit und erzeugen dabei neue Risiken; sie erschließen Legitimationsquellen und gewinnen (oder verlieren) selbst an Autorität. Expertise ist das Resultat einer riskanten Doppelbewegung zwischen wissenschaftlicher Reputation und politischer Positionierung. Je nach demokratietheoretischer Perspektive erscheint sie als Garant ideologiefreien Entscheidens („speaking truth to power“) oder als technokratische Gefahr. Aktuelle Kontroversen von der Klimapolitik bis zur Biotechnologie deuten auf eine Politisierung der Wissenschaft hin; zugleich und in einem gewissen Widerspruch dazu lassen sich mit dem Aufstieg transnationaler Expertenorganisationen und der Ausbreitung evidenzbasierten Entscheidens Tendenzen eine Verwissenschaftlichung der Politik beobachten.
Das Seminar dient der intensiven Auseinandersetzung mit Theorien und Konzeptionen von Expertise: Auf welche Weise wird diese produziert, zugeschrieben, verteilt, kontrolliert und herausgefordert? Welche Macht-Wissens-Relationen sind in die Beziehungen zwischen Experten und Bürgern eingeschrieben? Was sind die zentralen Argumente für eine Demokratisierung von Wissenschaft und auf welche Weise wäre diese umzusetzen? Wie hat sich das Verhältnis zwischen politischer und epistemischer Autorität in der postnationalen Konstellation gewandelt und was sind die Folgen?
Im Seminar setzen wir uns sowohl mit den Klassikern des Diskurses um Expertise und Demokratie auseinander als auch mit neueren empirischen wie theoretischen Analysen im Zuge der Wissens- und Wissenschaftssoziologie, der Science, Technology & Studies und der Soziologie der Kritik. Ziel des Seminars ist es, über die üblichen Dichotomien hinauszugelangen und zu einer kritischen Reflexion der wechselseitigen Konstitutionsverhältnisse zwischen Wissenschaft und Politik zu gelangen.
Brown, Mark B. 2009. Science in Democracy. Expertise, Institutions, and Representations. Cambridge/London: MIT Press.
Fischer, Frank. 2009. Democracy & Expertise. Reorienting Policy Inquiry. Oxford: Oxford University Press.
Habermas, Jürgen (1968): Technik und Wissenschaft als 'Ideologie'. Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 120-145
Jasanoff, Sheila. 2005. Designs on Nature: Science and Democracy in Europe and the United States. Princeton (NJ): Princeton University Press.
Kennedy, David. 2016. A World of Struggle. How Power, Law, and Expertise Shape Global Political Economy. Princeton/Oxford: Princeton University Press.
Nichols, Tom. 2017. The Death of Expertise: The Campaign Against Established Knowledge and Why it Matters. Oxford: Oxford University Press.
Turner, Stephen. 2014. The politics of expertise. New York: Routledge.
Weingart, Peter. 2001. Die Stunde der Wahrheit? Zum Verhältnis der Wissenschaft zu Politik, Wirtschaft und Medien in der Wissensgesellschaft. Weilerswist: Velbrück.
Zürn, Michael. 2018. A Theory of Global Governance. Authority, Legitimacy, and Contestation. Oxford: Oxford University Press.
Rhythmus | Tag | Uhrzeit | Format / Ort | Zeitraum |
---|
Die verbindlichen Modulbeschreibungen enthalten weitere Informationen, auch zu den "Leistungen" und ihren Anforderungen. Sind mehrere "Leistungsformen" möglich, entscheiden die jeweiligen Lehrenden darüber.