Lange Zeit galt die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland als Erfolgsgeschichte: Nach der Niederlage des NS-Regimes im Jahr 1945 hätte sich der westliche Teil nach langwierigen Auseinandersetzungen mit der nationalsozialistischen Vergangenheit in eine stabile parlamentarische Demokratie entwickelt. Das Grundgesetz habe mit seinem humanistischen Anspruch nachhaltig die politische und gesellschaftliche Wirklichkeit geprägt und weit über Deutschlands Grenzen hinaus vorbildhafte Ausstrahlungskraft entfaltet. Zugleich scheiterte zwischen 1945 und 1989 im östlichen Teilstaat die „Deutsche Demokratische Republik“ und damit eine sozialistisch geformte Antwort auf den „deutschen Faschismus“, wie es dort hieß. Was die Kommunisten anfänglich als „antifaschistisch-demokratische Umwälzung“ versprochen hatten, mündete alsbald in einer autoritären Einparteiendiktatur, die 1989 in einem Akt der Selbstbefreiung durch die Ostdeutschen selbst gestürzt wurde. Nach der Vereinigung der beiden deutschen Staaten 1990 – dem „Bonner Erfolgsmodell“ folgend – blieb diese ins-gesamt positive Bilanz solange unhinterfragt, bis mit dem Aufstieg des Rechtspopulismus und der AfD in den ersten Jahrzehnten des 21. Jahrhunderts überwunden geglaubte autoritär-nationalistische, rassistische und antisemitische Einstellungen in der deutschen Gesellschaft neuen Vorschub erhielten und damit sowohl die Prämissen als auch die Errungenschaften dieses Modells fundamental erschütterten.
Eng verbunden mit dieser Erfolgserzählung war und bleibt die Ambition, mit Hilfe von Bildung – von der alliierten Reeducation zur bunderepublikanischen politischen Bildung – eine stabile und funktionierende Demokratie zu etablieren. Demokratiebildung will ermöglichen, dass Individuen ein Verständnis für die komplexen gesellschaftlichen Prozesse entwickeln, in die sie eingebunden sind. Sie zielt auf historisch-politische Bewusstseinsbildung, Stärkung von Mündigkeit, Förderung von Teilhabe und der Fähigkeit zur kritischen Auseinandersetzung mit der Gegenwart als Voraussetzungen für emanzipatorische Veränderungsprozesse. Gleichzeitig löst sie dieses Versprechen nicht für alle ein – noch bislang jede demo-kratische Gesellschaft war von anhaltenden sozialen Ungleichheiten und Diskriminierungen geprägt.
Sowohl diese ambivalente Bilanz als auch die jüngst zunehmende illiberale und nationalistische Herausforderung sowie weltweite Schwächung von Demokratien bilden Ausgangspunkte des Seminars. Da diese Entwicklungen und Herausforderungen stark transnational geformt sind, finden globale Kontexte und interdisziplinär angelegte Forschungs- und Erklärungsansätze, vor allem aus den Geschichts-, Erziehungs- und Politikwissenschaften, besondere Berücksichtigung. Anhand von zwölf Schlüsselbegriffen wird die Lehrveranstaltung einen umfassenden Überblick über die vergleichende bzw. verflochtene Demokratiegeschichte Deutschlands seit 1945 bis in die Gegenwart bieten und in aktuelle Forschungskontroversen und -ergebnisse einführen: Anspruch & Voraussetzungen, Partizipation & Opposition, Diversität, Gleichheit & Inklusion, Pluralität & Kommunikation, Erinnerung & Zukunft sowie Demokratiekrise. In Verbindung damit werden – auch anhand von Beispielen und aktuellen Kontroversen – die Ziele und Bedingungen von Demokratiebildung thematisiert. Zugleich wird reflexiv betrachtet und diskutiert, wie zentrale Konzepte der Demokratiebildung wie etwa Teilhabe oder Mündigkeit im Widerspruch zu gesellschaftlichen Gegebenheiten stehen können – und welche Konsequenzen für die Bildungsarbeit daraus erwachsen. Schließlich wird es in dieser Lehrveranstaltung immer wieder auch um die grundsätzliche Frage gehen, welche Aufgabe und Funktion Bildung in demokratischen Prozessen hat.
Master of Arts: Voraussetzung ist die Einschreibung im Master of Arts Erziehungswissenschaft im WiSe 2025/26
Einführende und rahmende Literatur:
Theodor W. Adorno, Erziehung zur Mündigkeit. Vorträge und Gespräche mit Hellmut Becker 1959-1969 (1971).
Eugenio F. Biagini/Gary Gerstle, ed., A Cultural History of Democracy in the Modern Age (2021).
Yasmine Chehata et al., Handbuch kritische politische Bildung (2024)
Benjamin Isakhan/Stephen Stockwell, eds., The Edinburgh Companion to the History of Democracy (2012).
Christina Morina, Tausend Aufbrüche. Die Deutschen und ihre Demokratie seit den 1980er Jahren (2023).
Tim Schanetzky et al. (Hg.), Demokratisierung der Deutschen. Errungenschaften und Anfechtungen eines Projekts (2020).
Petra Weber, Getrennt und doch vereint: Deutsch-deutsche Geschichte 1945-1989 (2020).
Frequency | Weekday | Time | Format / Place | Period | |
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weekly | Mi | 16-18 | Unpublished | 15.10.2025-04.02.2026 |
Module | Course | Requirements | |
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22-M-4.1 Theoriemodul | Interdisziplinäres Theorieseminar | Graded examination
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25-ME-A4 Inhaltliche Fokussierung | E1: Inhaltliche Fokussierung 1 | Study requirement
Ungraded examination Graded examination |
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E2: Inhaltliche Fokussierung 2 | Study requirement
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25-ME-B4 Inhaltliche Fokussierung | E1: Inhaltliche Fokussierung 1 | Study requirement
Ungraded examination Graded examination |
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E2: Inhaltliche Fokussierung 2 | Study requirement
Ungraded examination Graded examination |
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25-ME-C1 Historische und systematische Aspekte der Migrationspädagogik, Civic- and International Education | E2: Civic- and International Education | Study requirement
Ungraded examination Graded examination |
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25-ME-C4 Inhaltliche Fokussierung | E1: Inhaltliche Fokussierung 1 | Study requirement
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E2: Inhaltliche Fokussierung 2 | Study requirement
Ungraded examination Graded examination |
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25-UFP6-C Fachbezogene Vertiefung: Migrationspädagogik, Civic- and International Education | E2: Civic- and International Education | Study requirement
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The binding module descriptions contain further information, including specifications on the "types of assignments" students need to complete. In cases where a module description mentions more than one kind of assignment, the respective member of the teaching staff will decide which task(s) they assign the students.