250215 Die Nachträglichkeit der Entwicklung und das Ticken der pädagogischen Uhr. Zyklische und lineare Zeit in der Erziehung (S) (SoSe 2015)

Contents, comment

"Wenn alle Tage einander glichen, wenn sie sich wiederholten und wiederholten und zehn Jahre im Voraus geplant waren, wieso spürte man, daß die Zeit verging, daß sie linear war, daß die Schulzeit eine Art Countdown war, daß die Zeit ein Zug war und daß man flink genug sein sollte und mußte, um mitzuhalten? Ich glaube, der Grund war, daß Leistungen gefordert wurden. [...] Es war ja nur von außen so, daß die Tage einander glichen. Im tiefsten Innern sollten sie verschieden sein. Es schien ja nur so, als ob dieselben Fächer und dieselben Räume und dieselben Lehrer und dieselben Schüler immer wieder kämen. In Wirklichkeit war gefordert, daß man sich jeden Tag verändern sollte. Jeden Tag sollte man besser sein, man sollte sich entwickelt haben, die vielen Wiederholungen im Schulleben waren nur dazu da, daß man vor demselben Hintergrund zeigen konnte, dass man sich verbessert hatte" heißt es in Peter Høegs Erziehungsroman "Der Plan von Abschaffung des Dunkels". Er beschreibt auf einer fiktionalen Ebene ein spezifisches Verhältnis von zyklischer und linearer Zeit in pädagogischen Institutionen und kritisiert davon ausgehend über die Perspektive des Protagonisten das System der Leistungsbewertungen sowie das Erziehungsziel Integration. Im Seminar werden wir uns näher damit auseinandersetzen, wie sich die Bedeutung der Zeit für Bildung, Entwicklung und Erziehung aus wissenschaftlicher Perspektive darstellt.
Lineare Zeit, die nicht zufällig im Zuge der Industrialisierung an Bedeutung gewann, ist geeignet, eine besondere Faszination auf PädagogInnen auszuüben, da sie die Illusion aufrecht erhält, man könne ein lineares Modell von Ursache und Wirkung in der Erziehung vertreten. Dieses fand seinen Ausdruck nicht zuletzt in der Disziplinierung der Edukanten durch die Reglementierung der Zeit. Auch heute offenbart dieses Modell seinen ungebrochenen Erfolg in der erziehungswissenschaftlichen Rezeption klar strukturierter, entwicklungspsychologischer Phasen- und Stufenmodelle ebenso wie in pädagogischen Ansätzen, die auf einer kausalen Vorstellung von Erziehung basieren. Einen Strich durch die Rechnung des linearen Determinismus macht hingegen das psychoanalytische Konzept der Zeitlichkeit: Der Begriff der Nachträglichkeit etwa besagt, dass bestimmte Erinnerungsspuren vergangener Ereignisse der Kindheit erst mit späteren Erfahrungen umgearbeitet werden und dadurch ihren Sinn für das Subjekt konstituieren. Die Logik von der Zweizeitigkeit der Entwicklung und der Nachträglichkeit ernstzunehmen aber bedeutet, dass sich die Folgen pädagogischen Handelns nicht grundsätzlich prognostizieren lassen. Damit werden technokratische Modelle von Erziehung in Frage gestellt.

Bibliography

Foucault, Michel: Disziplin. In: Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses. Frankfurt/ Main 1994.
Graupner, Helmut: Das siebzehnjährige Kind. Jüngste europarechtliche Rahmenbedingungen für Sexualität in den neuen Medien. In: Seikowski, Kurt (Hg.): Sexualität und neue Medien. Lengerich 2005.
Gruschka, Andreas: Wie mißt und stimuliert man moralische Urteilskraft? Von den Konflikten auf dem Weg zum guten und schlechten Menschen (Teil1). In: Pädagogische Korrespondenz. Zeitschrift für kritische Zeitdiagnostik in Pädagogik und Gesellschaft. 18/ 1996.
Høeg, Peter: Der Plan von der Abschaffung des Dunkels. Reinbek bei Hamburg 1998.
Heinrich, Martin: Zum Stand einer Theorie der Ontogonese bürgerlicher Kälte. Oder: 'Wie man kalt wird'. In: Pädagogische Korrespondenz. 24/1999.
Heinrich, Martin: Was tun? Zur Diskontinuität von moralischem Wissen, moralischem Urteil und moralischem Handeln. In: Pädagogische Korrespondenz. Zeitschrift für kritische Zeitdiagnostik in Pädagogik und Gesellschaft. 25/2000.
Huisken, Freerk: Lernen als geistige Anstrengung in vorgeschriebener Zeit. In: Erziehung im Kapitalismus. Von den Grundlügen der Pädagogik und dem unbestreitbaren Nutzen der bürgerlichen Lehranstalten. Hamburg 2001.
Kirchhoff, Christine: Das psychoanalytische Konzept der Nachträglichkeit. Zeit, Bedeutung und die Anfänge des Psychischen. Gießen 2009.
Schneider, Peter: Wahrheit und Verdrängung. Eine Einführung in die Psychoanalyse und die Eigenart ihrer Erkenntnis. Berlin 1995.
Weitere Literatur wird im Seminar bekanntgegeben.

Teaching staff

Dates ( Calendar view )

Frequency Weekday Time Format / Place Period  
weekly Do 16-18 C5-141 09.04.-16.07.2015
not on: 5/14/15 / 6/4/15 / 6/25/15

Hide passed dates <<

Subject assignments

Module Course Requirements  
25-BE2_ver1 Erziehungswissenschaftliche Forschung in Theorie und Empirie E1: Theorien der Erziehungswissenschaft (Bildungs-, Erziehungs-, Sozialisations- und Gesellschaftstheorien) Study requirement
Student information
- Graded examination Student information
25-BiWi14 Fachliches Grundlagenmodul (GymGe) E2: Bildung, Erziehung und Sozialisation Study requirement
Student information
- Graded examination Student information
25-BiWi14_a Fachliches Grundlagenmodul (GymGe) E2: Bildung, Erziehung und Sozialisation Study requirement
Graded examination
Student information
25-BiWi2-G Fachliches Grundlagenmodul (Grundschule) E2: Bildung, Erziehung und Sozialisation Study requirement
Student information
- Graded examination Student information
25-BiWi2-HRGe Fachliches Grundlagenmodul (HRGe) E2: Bildung, Erziehung und Sozialisation Study requirement
Student information
- Graded examination Student information

The binding module descriptions contain further information, including specifications on the "types of assignments" students need to complete. In cases where a module description mentions more than one kind of assignment, the respective member of the teaching staff will decide which task(s) they assign the students.

Degree programme/academic programme Validity Variant Subdivision Status Semester LP  
Erziehungswissenschaft GHR / Master of Education (Enrollment until SoSe 2014) MA.2.2.4   2 aktive Teilnahme oder EL(u)  
Erziehungswissenschaft GymGe / Master of Education (Enrollment until SoSe 2014) MG.2.2.4   2 aktive Teilnahme oder EL(u)  

No more requirements
No eLearning offering available
eKVV participant management:
eKVV participant management is used for this course.
Show details
Limitation of the number of participants:
Limited number of participants: 80
Address:
SS2015_250215@ekvv.uni-bielefeld.de
This address can be used by teaching staff, their secretary's offices as well as the individuals in charge of course data maintenance to send emails to the course participants. IMPORTANT: All sent emails must be activated. Wait for the activation email and follow the instructions given there.
If the reference number is used for several courses in the course of the semester, use the following alternative address to reach the participants of exactly this: VST_53782303@ekvv.uni-bielefeld.de
Notes:
Additional notes on the electronic mailing lists
Last update basic details/teaching staff:
Friday, December 11, 2015 
Last update times:
Monday, February 9, 2015 
Last update rooms:
Monday, February 9, 2015 
Type(s) / SWS (hours per week per semester)
seminar (S) / 2
Department
Faculty of Educational Science
Questions or corrections?
Questions or correction requests for this course?
Planning support
Clashing dates for this course
Links to this course
If you want to set links to this course page, please use one of the following links. Do not use the link shown in your browser!
The following link includes the course ID and is always unique:
https://ekvv.uni-bielefeld.de/kvv_publ/publ/vd?id=53782303
Send page to mobile
Click to open QR code
Scan QR code: Enlarge QR code
ID
53782303