260076 Was ist Fortschritt? Ein philosophischer Blick auf Konzeptionen gesellschaftlicher und moralischer Entwicklung (S) (WiSe 2023/2024)

Das Selbstverständnis vieler Gesellschaften des globalen Nordens ist von einer »Gewiss-heit« geprägt: Die Geschichte der Menschheit ist eine Fortschrittsgeschichte. Technische Entwicklungen machen es den Menschen möglich länger, weiter und schneller zu reisen als jemals zuvor. Die moderne Medizin verlängert unser Leben um viele Jahre. Und wir leben in freien und demokratischen Gesellschaften, die uns immer mehr und umfänglichere Rechte sowie einen hohen Lebensstandard garantieren. Was also unter »Fortschritt« zu verstehen ist, scheint, eingebettet in diese Erzählung, überhaupt nicht strittig.
Trotzdem gibt es berechtigte Zweifel an diesem Fortschrittsnarrativ. Führt die vom globalen Norden angestoßene technische Entwicklung und die Ausbeutung der natürlichen Ressourcen nicht in eine Klimakatastrophe? Sind unsere Gesellschaften wirklich so demokratisch und frei wie wir glauben oder erfahren nicht immer noch zahlreiche Menschen Diskriminierung aufgrund zahlreicher Faktoren? Fußt unser heutiger Wohlstand nicht auch auf kolonialen Strukturen? Und nicht zuletzt: Wie passen eigentlich unsere fortschrittlichen Moralvorstel-lungen mit den vielen Toten im Mittelmeer zusammen?
Höchste Zeit den Begriff »Fortschritt« zu überdenken. Im Seminar wollen wir uns fragen, wie kann Fortschritt eigentlich verstanden werden? Und gibt es überhaupt so etwas wie ob-jektiven Fortschritt? Oder ist Fortschritt immer etwas kontextbezogenes und abhängig vom Auge der Betrachter*in? Diesen Fragen wollen wir uns annähern, indem wir die wichtigsten Autor:innen und Texte der (philosophischen) Debatte lesen und diskutieren. Von klassischen, teleologischen Fortschrittsverständnissen wie denen von Immanuel Kant, Georg Willhelm Friedrich Hegel oder auch Karl Marx, über kritische Positionen wie denen von Friedrich Nietzsche und Michel Foucault, bis hin zu gesellschaftsutopischen Texten, an denen nicht nur Vorstellungen idealer Gesellschaftsformen deutlich werden, sondern sich auch die Defi-zite der Gegenwart zeigen.