230430 Asterix - als Pop-Phänomen und als Vermittler der Antike (S) (SoSe 2016)

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Asterix könnte eine deutsche Erfindung sein, so deutlich stehen hier die autochthonen Antimodernen aus einem kleinen gallischen Dorf in Aremorica gegen die Stein und Fleisch gewordene Zivilisation, gegen Rom und die Römer. Antiwestler und Fortschrittsfeinde scheinen die Gallier zu sein, latent fremdenfeindlich und voller Ressentiments. Man kann ihnen mangelnde Affektkontrolle durchaus vorwerfen, prügeln sie sich doch bei nahezu jedweder Gelegenheit: und das ohne geometrische Schlachtordnung, versteht sich, in einem Furor der reinen Anarchie. Hier dürfen die Kleinen und Erniedrigten, die Unterworfenen noch einmal gegen die Übermacht obsiegen – so, wie es die Kinder, die „kleinen Wilden“ nach Freud, auch gern ihren Eltern gegenüber durchexerzieren würden. Und in der Fantasie tun sie dies: mit dem starken, aber gutmütig-naiven Riesen Obelix, der in der Seele ein Kind geblieben ist einerseits, und mit dem gewitzten, urgescheiten und ironisch doppeldeutigen Asterix andererseits, der aber von der Statur dennoch kaum mehr als ein zehnjähriges Kind darstellt.
Rom hingegen ist Ordnung, Disziplin, Vernunft, Steuersystem, Geldverkehr und globale Warenwirtschaft – zumindest versucht die Gesellschaft, sich selbst und allen anderen genau diesen Eindruck zu vermitteln. Doch wenn man sich etwa die Bürokratie anschaut, nimmt sie groteske Züge an. In Dingen des Militärs zählt allein die quantitative Macht; der Einzelne wird austauschbar. Die größte Stadt der Welt ist der Mittelpunkt des Universums; aber die Gallier leben lieber in der Natur und mit ihr. In Rom kann man repräsentativ wohnen – heimisch fühlt man sich hingegen dort, wo jeder alle kennt – auch mit allen Animositäten, die solche Nähe mit sich bringt.
Bei diesen klaren Dichotomien fällt auf, wie häufig verstoßen wird gegen die zuvor etablierten Prinzipien: Caesar kann dann auch einmal Milde zeigen – und der Zenturio ist oft nur ein armer Schlucker. Der Architekt Quadratus versucht, den Gegensatz von Stadt und Land nutzbar zu machen – und treibt ihn auf die Spitze. Er baut einfach um das Dorf eine Siedlung, die Trabentenstadt, was unser Dorf zur Vorstadt degradiert. Verführt durch die Versuchungen der römischen Zivilisation, verlieren die Dörfler fast ihren Bezug zueinander, verkaufen sich und ihre Werte an den Tand des scheinbar leichteren Lebens – und verscherbeln ihre Wirtschaftsgüter nun als Touristenattraktionen an die neu hinzugezogenen Römer. Doch die Römer sind nicht allein die (kleinstädtischen) Langweiler vom Dienst, sie stehen auch, verglichen mit den sauberen Schweizern, den korrekten Briten oder den stolzen Griechen, für die sprichwörtliche spätrömische Dekadenz. Wenn man ihnen im Theater ihre eigene Hässlichkeit vorführt, und dazu lauthals „Orgien, wir wollen Orgien!“ deklamiert, ist das gehobene römische Publikum begeistert – und fühlt sich glänzend unterhalten.
Die Comic-Reihe Asterix zeichnet, bei aller Widersprüchlichkeit selbst in den Grundannahmen, aber ein ernsthafter Umgang mit der Geschichte der Antike aus: Vieles wurde mühevoll und einfühlsam rekonstruiert, auch wenn nicht für alle Handlungsstränge antike Autoren als Gewährsleute zur Verfügung stehen. Da darf dann auch der Tee in England durch unsere Gallier eingeführt oder die Pommes Frites in Belgien schon um die Zeitenwende erfunden werden – oder einfacher, Asterix beim Kartoffelschälen zu sehen sein. Solche ‚Fehler‘ erscheinen lässlich, wenn man sich dagegen über eine Statue der Göttin Artemis amüsieren kann, die mit ihrer Leibesfülle die sie stets begleitende Hirschkuh unter ihrem enormen Gewicht begräbt. Gewollte Brüche mit der Historiografie, wie die Herleitung des Verlusts der Nase bei der altägyptischen Großen Sphinx von Giseh – Obelix hatte versucht, sie zu erklettern und dabei die Nase abgebrochen –, erhöhen hingegen nur den Genuss, setzen aber zugleich ein (kindliches) Wissen der historischen Zusammenhänge voraus.
Genau dieser (ironische) Anspielungsreichtum zeichnet Asterix aus, auch in Bezug auf die Geschichte und ihre je verschiedenen Konstrukte. Dafür lernt man auch gern ein paar Sprüche Latein. Neuere Comics (und deren Verfilmungen) sowie Romane und Filme mit Antikenbezug hingegen orientieren sich immer mehr an der Fantasy als Genre – und treiben den Eklektizismus, der schon die Hefte mit den Galliern ausmachte, ins Nichts der Beziehungslosigkeit. Denn zuweilen bleiben kaum Reminiszenzen übrig, sondern nur Namenentlehnungen für ein völlig neues Narrativ. 2009 feierte die 1959 begonnene Reihe den 50igsten Geburtstag, 2013 versuchte man erstmals einen Neustart– ohne den übermächtigen Albert Uderzo, den Zeichner der ersten Stunde, der aber nie die raffinierten Texte und dramaturgisch ausgeklügelten Konzepte des früh verstorbenen René Goscinny liefern konnte. Ob der Reboot gelungen ist? Das erste Heft von Jean-Yves Ferri (Text) und Didier Conrad (Zeichnungen) macht Mut, wieder mehr zu erhoffen.

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