Seit Edgar Reitz' bekanntem Filmprojekt "Heimat" (von 1981 bis 2006) sind folgende Fragen vermehrt Gegenstand der kulturwissenschaftlichen Erörterung: Ist Heimat nur eine Fiktion? Ist sie eine anthropologische Konstante oder gar ein "Axiom"? Auf alle Fälle ist sie mit Erinnerungen verbunden! Und wo erinnert wird, da wird auch fantasiert, imaginiert und vor allem erzählt. "Heimat" wird selbst zum Narrativ. Und es scheint ein Faktum zu sein, dass vor allem eine verlorene oder vergangene Heimat, von welcher man durch das Alter oder einen Umzug und eine Vertreibung, beispielsweise Schlesien oder Ostpreußen bzw. Masuren (Horst Bienek, Christine Brückner, Siegfried Lenz, Ernst Wiechert), aber auch Gebiete der ehemaligen DDR (Walter Kempowski) räumlich getrennt ist, besonders plastisch in der Erinnerung - und damit in der Erzählung - gestaltet werden kann. Das Seminar wird sich mit der Erinnerung von sowohl zeitlich als auch räumlich verlorener Heimat in verschiedenen Texten aus der Gegenwartsliteratur auseinandersetzen und dabei die These aufstellen: Je verlorener die "Heimat" ist, desto intensiver kann diese Erinnerung an das Nicht-Mehr erdacht oder auch erzählt werden und vielleicht sogar - wenn auch mit Wehmut - aus dem Geiste der Memoria und der Fantasie wieder rekonstruiert werden und damit eine kompensatorische Funktion gegenüber dem Ungenügen an der Realität erfüllen. Der Zusammenhang zwischen Heimatliteratur und autobiographischem Schreiben und den damit verbundenen Fiktionalisierungsstrategien wird dabei zu berücksichtigen sein.
Ein anderer Aspekt der Veranstaltung soll sich mit der negativ besetzten Heimat auseinandersetzen. Mit den Orten der Herkunft oder Kindheit können in der narrativen Retrospektive ebenso wie das Idyll, auch die Schrecken und Traumata (Josef Winkler) der Vergangenheit wieder Gestalt annehmen bzw. ihre räumlich-spatiale Bindung erfahren und die Auseinandersetzung mit dem Heimatdiskurs erschweren (Stichwort: "schwarzer Heimatroman"). Hier werden die literarische Sprache und der Imaginationsprozess zu Katalysatoren von Bewältigung und kreativer Verarbeitung, die vor allem auch an der ästhetischen Gestaltung der Texte nachvollziehbar gemacht werden sollen. Schlussendlich soll auch die literarische Reflexion über Heimat in ihrem Stellenwert als Mentalitätsgeschichte miteinbezogen werden. Um diese drei Themenbereiche möglichst vielseitig besprechen zu können, ist dabei an folgende Autoren und Autorinnen gedacht: Peter Bichsel, Horst Bienek, Ilse Gräfin von Bredow, Christine Brückner, Günter de Bruyn, Gert Heidenreich, Peter Härtling, Elfriede Jelinek, Gert Jonke, Walter Kempowski, Günter Kunert, Peter Kurzeck, Siegfried Lenz, Andreas Maier, Herta Müller, Marcel Pagnol, Einar Schleef, Josef Winkler etc. Ein Großteil der Texte wird in einem Reader zugänglich gemacht werden. Ebenso wird ein Seminarplan Mitte/Ende September an die Teilnehmenden versendet.
Zu Beginn des Semesters soll mit Siegfried Lenz' klassischer Masuren-Hommage "So zärtlich war Suleyken" (1955) ein erster Einstieg in den Untersuchungsgegenstand versucht werden. Daran wird sich Walter Kempowskis Tagebuch "Hamit" (2006) anfügen, welches die Begegnung mit seiner Heimat- und Kindheitsstadt Rostock während der Wendezeit zum Thema hat. Genaue Kenntnis der beiden Texte wird daher vorausgesetzt. Die weiteren Primärtexte werden noch rechtzeitig benannt. Allerdings sind auch Wünsche der Studierenden jederzeit willkommen.
1) Erfolgreicher Abschluss des Fachportals und des Basismoduls im Fachbereich Germanistik
2) Interessse an themenbezogener und intensiver Lektüre
3) Diskussionsbereitschaft und problemorientiertes Denken
1) Eduard Beutner/Karlheinz Rossbacher (Hgg.): Ferne Heimat - nahe Fremde. Bei Dichtern und Nachdenkern, Würzburg 2008.
2) Horst Bienek (Hg.): Heimat. Neue Erkundungen eines alten Themas, München/Wien 1985.
3) Peter Blickle: Heimat. A critical theory of the German idea of homeland, Rochester, NY u.a. 2004.
4) Gertrude Cepl-Kaufmann (Hg.): Konstruktionsprozesse der Region in europäischer Perspektive. Kulturelle Raumprägungen der Moderne, Essen 2010.
5) Andrea Kunne: Heimat im Roman. Last oder Lust. Transformation eines Genres in der österreichischen Nachkriegsliteratur, Amsterdam 1991.
6) Andrea Lobensommer: "Die Suche nach Heimat". Heimatkonzeptionsversuche in Prosatexten zwischen 1989 und 2001, Frankfurt am Main 2010.
7) Jolanta Mazurkiewicz: Zwischen deutsch-polnischen "Grenzland" und "verlorener Heimat". Von literarischen Rückreisen in die Kindheitsparadiese, Frankfurt am Main 1998.
8) Norbert Mecklenburg: Erzählte Provinz. Regionalismus und Moderne im Roman, Königstein im Taunus 1982.
9) Sibylle Nagel: Heimatverlust in historischen und zeitgeschichtlichen Jugendromanen der Gegenwart über auswanderung, Flucht und Vertreibung, Frankfurt am Main 2014.
10)Hans-Georg Pott (Hg): Literatur und Provinz. Das Konzept 'Heimat' in der neueren Literatur, Paderborn 1986.
11)Karlheinz Rossbacher: Heimatkunst und Heimatroman, Stuttgart 1975.
Frequency | Weekday | Time | Format / Place | Period | |
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weekly | Mi | 16-18 | V0-133 | 19.10.2015-12.02.2016
not on: 12/23/15 / 12/30/15 |
Module | Course | Requirements | |
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23-GER-PLit2 Gegenwartsliteratur und Medien | Veranstaltung 1 (mit Modulprüfung) | Study requirement
Graded examination |
Student information |
Veranstaltung 2 | Study requirement
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Student information | |
23-LIT-LitP4 Kulturwissenschaft (Kulturtheorie) | Kultur und Text: Exemplarische Analysen | Study requirement
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- | Graded examination | Student information | |
23-LIT-LitP7 Deutschsprachige Literatur | Deutschsprachige Literatur: Themen und Autoren | Study requirement
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Student information |
- | Graded examination | Student information |
The binding module descriptions contain further information, including specifications on the "types of assignments" students need to complete. In cases where a module description mentions more than one kind of assignment, the respective member of the teaching staff will decide which task(s) they assign the students.
Degree programme/academic programme | Validity | Variant | Subdivision | Status | Semester | LP | |
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Germanistik / Master of Education | (Enrollment until SoSe 2014) | BaGerP2G; BaGerP2L | 2/5 |
1) Studienleistung: Kurzreferat bzw. Moderation (inklusive Thesen- und Informationspapier, ca. zwei Seiten) oder Kurzinterpretation (Essay) zu einer ausgewählten Textstelle aus dem Seminarkontext (ca. drei Seiten)
2) benotete Einzelleistung: schriftliche Hausarbeit (ca. zwölf bis fünfzehn Seiten)