220071 Lateinische Lektüre: Megacity mit schrägen Bewohnern: Rom in den Epigrammen Martials (Ü) (WiSe 2024/2025)

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Tonstrix Suburae faucibus sedet primis, / cruenta pendent qua flagella tortorum / Argique Letum multus obsidet sutor. / sed ista tonstrix, Ammiane, non tondet, / non tondet, inquam. quid igitur facit? radit. („Gleich vorne am Eingang zur Subura sitzt eine Friseuse, dort, wo die blutigen Geißeln der Folterer hängen und zahlreiche Flickschuster das Argiletum belagern. Doch diese Friseuse, Ammianus, schert keinem die Haare. Sie schert nicht, sag’ ich. Was sie dann tut? Sie nimmt ihre Kunden aus.“)
Aktuell vermitteln Streaming-Serien wie „Those about to die“ und der im Herbst in die Kinos kommende „Gladiator II“ wieder ein bestimmtes Bild der römischen Kaiserzeit: imperiale Größe und zwingende Macht, eine dampfende Metropole, blutige Gewalt und teils bizarrer Sex. Diese Themen kommen auch in den Epigrammen des aus Spanien stammenden und dort auch gestorbenen römischen Dichters Martial (ca. 40 ‒ vor 104 n.Chr.) vor, freilich in sehr viel subtilerer, weil sprachlich vermittelter Form ‒ wie in dem Stück über die Friseuse in der Subura, wo der Witz in der Mehrfachbedeutung von radere liegt („abscheren“ = „ausnehmen“, aber auch „sanft berühren“, mit sexuellem Unterton) sowie in der Kontextualisierung des Ladenlokals ‒ die Übersetzung muss hier vereindeutigen und kann die Doppelbödigkeiten nicht vollständig erfassen. Drastik, ja Obszönität und Provokation fehlen freilich auch bei Martial nicht. Vor allem aber ‚atmen‘ seine Stücke, vom Zweizeiler bis zu den längeren Stücken, wie das eingangs zitierte Stück, immer wieder die Stadt Rom, ihre Orte, Szenen und Charaktere. Gerade aus der Überzeichnung bestimmter wiederkehrender Phänomene ließen sich soziale Tatsachen und normative Aussagen (Patron-Klient-Verhältnis; Erwerbsarten; Einladungen; Ehe und Sexualmoral, literarischer Betrieb u.v.a.) destillieren; das macht die Epigramme auch für Historiker interessant. In erster Linie jedoch sind sie eine teils vergnügliche, teil verblüffende, teils auch verstörende Lektüre. Warnung: Es wird keine Triggerwarnungen geben!
Martial gehört zu den nicht zahlreichen antiken Schriftstellern, deren Werke vollständig auf uns gekommen sind. Literarischer Ruhm wurde ihm vergleichsweise spät zuteil. Er publizierte zunächst im Jahre 80 das „Buch der Schauspiele“ (liber spectaculorum), eine Sammlung von mehr als 30 Epigrammen, welche sich auf die von Titus und Domitian veranstalteten Schauspiele im neuen flavischen Amphitheater (Colosseum) beziehen, das Martial spect. 1 als neues Weltwunder rühmt. Es folgten Mitte der achtziger Jahre die Bücher Xenia (Gastgeschenke) und Apophoreta (Gaben zum Mitnehmen bestimmt), Auf- oder Beischriften aus jeweils einem Distichon zu Gegenständen, die beim Fest der Saturnalien (17. Dezember) an Freunde verschickt oder unter Gästen verlost wurden. Vieleicht waren es diese drei thematischen Einzelsammlungen, die Martial auf die Idee brachten, auch seine übrigen Epigramme zu sammeln und in Buchform herauszugeben. Dass einzelne Stücke oder kleinere Sammlungen schon lange vorher zirkulierten, kann als sicher gelten; vieles war ja auch Gelegenheits- oder Auftragsarbeit, sozusagen Dichtung auf ein Stichwort hin, oder geprägt von der Spontaneität des momentanen Einfalls. Nach der Publikation von Buch 1 im Jahre 86 folgte fast im jährlichen Rhythmus ein weiteres Buch, je etwa 100 Epigramme umfassend, in der Regel mit einer Widmung zu Beginn. Insgesamt schrieb Martial 1557 Epigramme. Um als Dichter Erfolg zu haben, musste er ständig in der interessierten Öffentlichkeit präsent sein, Einladungen folgen, einflussreichen Leuten seine Aufwartung machen, Kontakte knüpfen und pflegen, Lesungen veranstalten, seine Augen und Ohren überall haben. Die zahlreichen Anspielungen auf einzelne Örtlichkeiten in den Epigrammen zeigen, dass in der Tat ganz Rom Gegenstand von Martials Aufmerksamkeit war, die Subura genauso wie der Aventin, Trastevere, die Porta Capena, das Marsfeld, die zahlreichen Portiken, Theater und vor allem Bäder.
Gelesen wird der lateinische Text! Die kritische Ausgabe (M. Valerii Martialis Epigrammata ed. D.R. Shackleton Bailey, Stuttgart 1990 [Bibliotheca Teubneriana]) wird als pdf-scan zur Verfügung gestellt. Ferner sollte eine systematische lateinische Grammatik zur Hand sein (Rubenbauer/Hofmann/Heine u.a.) sowie ein wissenschaftliches lateinisches Wörterbuch (Georges; Oxford Latin Dictionary). Ein größeres Schulwörterbuch wird jedoch in den meisten Fällen ausreichen.

Bibliography

Der alte, nur noch für manche Realien brauchbare Kommentar von L. Friedlaender (1886) ist inzwischen durch neuere Erklärungen zu einzelnen Büchern ersetzt; s. die Angaben bei U. Walter, Martial, in: Handwörterbuch der antiken Sklaverei (2017), 1864-1867. Einst als ‚Lehrerkommentar‘ konzipiert: Martial, Epigramme. Ausgewählt, eingeleitet und kommentiert von Uwe Walter (UTB 1954) (1996).
Einführend: Niklas Holzberg, Martial (1988); Carl Joachim Classen, Martial, in: Gymnasium 92, 1985, 329-49; A.L. Spisak, Martial: A Social Guide (2007); Uwe Walter, Soziale Normen in den Epigrammen Martials, in: F. Grewing (Hg.), Toto notus in orbe. Perspektiven der Martial-Interpretation (1998), 220-242. Ferner etwa: Victoria Rimell, Martial’s Rome. Empire and the Ideology of Epigram (2008).

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Für einen Leistungsnachweis im Modul 22-2.1/2 sind zu erbringen: regelmäßige Teilnahme und Vorbereitung der zu lesenden Texte; zwei bis drei kleinere Studienleistungen nach Absprache. Für Studierende der Lateinischen Philologie können Leistungsnachweise nach Bedarf abgesprochen werden.

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