Thema des Seminars ist die Geschichte von Akteuren, Disziplinen, Institutionen und fächerübergreifenden Forschungen der Geistes- und Kulturwissenschaften im nationalsozialistischen Deutschland und in Europa. Um das NS-Regime nicht als erratischen Block in der Geschichte des 20. Jahrhunderts zu behandeln, werden Traditionslinien vor 1933 und Kontinuitäten nach 1945 sondiert. Ziel des Seminars ist einerseits, den Studierenden die aktuellen Diskussionen in der Geschichtswissenschaft zum Thema zu vermitteln, ihnen andererseits theoretische und methodische Zugänge am Problemkomplex aufzuzeigen.
Drei theoretische Ansätze stehen dabei im Vordergrund:
1) Anhand biographischer Zugriffe wird gefragt, wie sich das Verhältnis von Geistes- und Kulturwissenschaftlern zur NS-Politik beschreiben lässt, als Selbstmobilisierung, Versuch einer Optimierung der Ressourcengewinnung, als Resultat einer mentalen Übereinstimmung mit NS-Ideologemen, als Nachgeben unter Zwang oder als Versuch einer Grenzziehung zwischen der eigenen Forschung und der Einflussnahme von Seiten der NS-Politiker darauf. Es ist hierbei auf die soziale Lage der einzelnen Wissenschaftler im Wissenschaftsfeld und auf ihre Generationszugehörigkeit zu fokussieren.
2) Mit einem begriffsgeschichtlichen Ansatz werden Sprache, Begriffe, Theorien und Themen analysiert. Es wird danach gefragt, welche Wissenschaftler bellizistische, ‚rassische‘ und ‚völkische‘ Elemente bereits vor 1933 vertraten und ob sich in dieser Hinsicht Tendenzen in bestimmten Disziplinen oder Forschungsbereichen zeigen. Im Hinblick auf semantische und epistemische Wandlungen nach 1933 ist der Frage nachzugehen, ob es sich dabei um Regelverstösse im Wissenschaftsfeld, oberflächliche Eingeständnisse an die so genannte NS-Weltanschauung oder um einen tatsächlichen, von der Mehrheit der Wissenschaftler getragenen Umbau handelte. Dieser Punkt ist entscheidend in Bezug auf Transformationen ‚rassischer‘ und ‚völkischer‘ Elemente nach 1945, die mit der demokratischen und der sozialistischen Ordnung der beiden Gesellschaften Deutschlands abgeglichen wurden.
3) Als Synthese der Ergebnisse wird die Geschichte der Kultur- und Sozialwissenschaften im NS-Regime in den grösseren gesellschaftlichen Kontext eingebunden. Hierfür werden Theorien aus der Soziologie (z. B. Systemtheorie oder Feld-und-Habitustheorie) angewendet. Zum einen wird nach den generellen Effekten des Verhältnisses von Geistes- und Kulturwissenschaften und NS-Politik auf den Zweiten Weltkrieg und den Holocaust gefragt. Zum anderen werden die Folgen jenes Verhältnisses für die Lage der Geistes- und Kulturwissenschaften nach 1945 untersucht, vor allem im Hinblick auf den Exodus der als jüdisch kategorisierten, demokratischen, linksliberalen oder religiös unliebsamen Wissenschaftler nach der so genannten Machtergreifung der Nationalsozialisten.
Bialas, Wolfang/Rabinbach, Anson (Hg.): Nazi Germany and the Humanities. Oxford 2007.
Bollenbeck, Georg/Knobloch, Clemens (Hg.): Semantischer Umbau der Geisteswissenschaften nach 1933 und 1945 (Reihe Siegen, Beiträge zur Literatur-, Sprach- und Medienwissen-schaft 144). Heidelberg 2001.
Bollenbeck, Georg/Knobloch, Clemens (Hg.): Resonanzkonstellationen. Die illusionäre Autonomie der Kulturwissenschaften (Studien zur Wissenschafts- und Universitätsgeschichte 5). Heidelberg 2004.
Elvert, Jürgen/Nielsen-Sikora, Jürgen (Hg.): Kulturwissenschaften und Nationalsozialismus (Historische Mitteilungen 72). Stuttgart 2008.
Hausmann, Frank-Rutger (Hg.): Die Rolle der Geisteswissenschaften im Dritten Reich 1933-1945. München 2002.
Hausmann, Frank-Rutger: „Deutsche Geisteswissenschaft“ im Zweiten Weltkrieg. Die „Aktion Ritterbusch“ (1940-1945). 3., erweiterte Ausgabe (Studien zur Wissenschafts- und Universitätsgeschichte 12). Heidelberg 2007.
Hausmann, Frank-Rutger: Die Geisteswissenschaften im „Dritten Reich“. Frankfurt am Main 2011.
Knobloch, Clemens: „Volkhafte Sprachforschung“. Studien zum Umbau der Sprachwissenschaft in Deutschland zwischen 1918 und 1945 (Reihe Germanistische Linguistik). Tübingen 2005.
Lehmann, Hartmut/Oexle, Otto Gerhard (Hg.): Nationalsozialismus in den Kulturwissen-schaften. Bd. 1: Fächer – Milieus – Karrieren. Bd. 2: Leitbegriffe – Deutungsmuster – Paradigmenkämpfe – Erfahrungen und Transformationen im Exil (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 200/211). Göttingen 2004.
Raphael, Lutz: Radikales Ordnungsdenken und die Organisation totalitärer Herrschaft: Welt-anschauungseliten und Humanwissenschaftler im NS-Regime. In: Geschichte und Gesell-schaft 27 (2001), S. 5-40.
Schöttler, Peter (Hg.): Geschichtsschreibung als Legitimationswissenschaft 1918-1945. Frankfurt am Main 1997.
Weisbrod, Bernd (Hg.): Akademische Vergangenheitspolitik. Beiträge zur Wissenschaftskultur der Nachkriegszeit. Göttingen 2002.
Rhythmus | Tag | Uhrzeit | Format / Ort | Zeitraum |
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Modul | Veranstaltung | Leistungen | |
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22-2.1 Theoriemodul | Grundseminar Theorien in der Geschichtswissenschaft | benotete Prüfungsleistung
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Studieninformation |
Die verbindlichen Modulbeschreibungen enthalten weitere Informationen, auch zu den "Leistungen" und ihren Anforderungen. Sind mehrere "Leistungsformen" möglich, entscheiden die jeweiligen Lehrenden darüber.
Studiengang/-angebot | Gültigkeit | Variante | Untergliederung | Status | Sem. | LP | |
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Geschichtswissenschaft / Bachelor | (Einschreibung bis SoSe 2011) | Kern- und Nebenfach | Modul 2.2; Modul 2.4; Modul 2.8 | 2. 3. 4. | 4 | scheinfähig | |
Geschichtswissenschaft (Gym/Ge) / Master of Education | (Einschreibung bis SoSe 2014) | Modul 2.4 | Wahlpflicht | 1. 2. 3. | 4 | scheinfähig | |
History, Philosophy and Sociology of Science / Master | (Einschreibung bis SoSe 2014) | Hauptmodul 3 | Wahlpflicht | 2 | zusätzlich 4 LP für eine benotete Einzelleistung, 2 LP für eine unbenotete Einzelleistung HS |