Zum Selbstverständnis vieler religiöser Traditionen gehört es, einen engen Zusammenhang zwischen dem verkündeten religiösen Heil und ganz konkreten Erfahrungen von Heilung an „Leib und Seele“ im Hier und Jetzt zu sehen. Gegenüber religiösen/spirituellen Überzeugungen als Ressource für die Gesundheit bestanden innerhalb von Medizin und Psychologie hingegen lange Zeit massive Zweifel. Nachhaltig wirkte hier der im 19. Jahrhundert heftig geführte Streit zwischen Kirchenvertretern und Theologen einerseits (z. B. Pius IX.) und Pionieren und Anhängern der sich konsolidierenden Naturwissenschaften andererseits (Darwin, Häckel). Innerhalb der Psychologie bestimmten lange die vernichtenden Urteile sowohl Freuds (Religion als „kollektive Zwangsneurose“) als auch der frühen Behavioristen Watson und Skinner die fachinterne Sicht, dass Religion als irrationale Weltsicht überwunden werden müsse und insofern als Forschungsgegenstand irrelevant und regelrecht anstößig sei. Innerhalb der Theologie wurde wiederum mit der Dominanz der Dialektischen Theologie jedem erfahrungswissenschaftlichen Zugang zur Religiosität – und damit auch der Erforschung von Religiosität und Gesundheit – eine klare Absage erteilt.
Abgesehen von einigen, wenigen Ausnahmen fand das Verhältnis von Religiosität und Gesundheit in der Theologie erst wieder mit dem Aufkommen der psychotherapeutisch inspirierten Pastoralpsychologie und in der Psychologie erst nach der kognitiven Wende wieder vorsichtige Beachtung. Erst seit den 1990er Jahren ist aber ein explosionsartiger Anstieg der Publikationen zu Religion und – psychischer wie körperlicher – Gesundheit zu verzeichnen, der sich auch gegenwärtig noch weiter fortsetzt. Der ganz überwiegende Teil dieser Studien versucht dabei, einen gesundheitsförderlichen Effekt der Religiosität zu belegen. Die überwiegende Zahl der bisherigen Studien stammt allerdings aus den USA, deren religiös-weltanschauliche Landschaft sich in wesentlichen Punkten von derjenigen der meisten westeuropäischen Länder unterscheidet (geringerer Säkularisierungsgrad; höhere Selbstverständlichkeit des Religiösen; keine konfessionelle Dominanz, sondern eine Vielfalt verschiedener christlicher Denominationen in einer vom Christentum dominierten religiösen Kultur). Teilweise ist die steigende Anzahl von Veröffentlichungen auf die Förderung durch potente, tief in der religiösen US-Kultur verwurzelte Institutionen (z. B. John-Templeton-Foundation) zurückzuführen. Jedoch scheint es seit etwa 15 Jahren auch wieder eine grundsätzliche Selbstverständlichkeit der Thematik Religion und Gesundheit innerhalb von Medizin und Psychologie zu geben, die sich neuen Einsichten über die Bedeutung kognitiver Merkmale (belief systems), über die Wirkung von Placebos und über das Zusammenspiel kognitiver und affektiver mit neuronalen und immunologischen Prozessen (Psychoneuroimmunologie) verdankt. Mittlerweile findet diese empirisch-naturwissenschaftliche Forschung zur Bedeutung von Religiosität für die Gesundheit auch zunehmend in der Theologie Berücksichtigung, für die sich dadurch ganz neue Frage- und Problemstellungen ergeben.
Das Ziel des Seminars ist es, einen Überblick über die zunehmend breiter aufgefächerte empirische Forschung zur Bedeutung der Religiosität für die Gesundheit zu geben, um entsprechende Studien verstehen und beurteilen zu lernen. Die folgenden Fragen werden dabei bestimmend sein:
- Welches Verständnis von Religiosität und Spiritualität liegt den verschiedenen Studien zugrunde?
- Welche psychischen (z.B. Depression, Suchterkrankungen, Schizophrenie) und körperlichen (z. B. Herz-Kreislauf-Erkrankungen) Krankheitsbilder bzw. welche Aspekte der Gesundheit (Lebensqualität und -zufriedenheit, Wohlbefinden) werden untersucht?
- Welche Forschungsmethoden kommen zur Anwendung?
- Welche Befunde lassen sich einigermaßen stabil und konsistent feststellen?
- Wie lassen sich die Befunde in die eigene klinische, seelsorgerliche und religionspädagogische Praxis überführen?
- Welches Erkenntnisinteresse liegt den verschiedenen Studien zugrunde?
- Welche Herausforderungen ergeben sich durch die Fragestellungen, Methoden und Ergebnisse der empirischen Studien für die Theologie?
Durch die Diskussion der genannten Fragestellungen erwerben Studierende die Kompetenz, die kontrovers diskutierte Forschung zur Bedeutung von Religiosität für die Gesundheit kritisch zu beurteilen und auf ihre eigenen berufspraktischen Arbeitsfelder in Schule, Klinik oder therapeutischer Praxis anzuwenden. Zudem gewinnen Studierende durch die bewusst interdisziplinäre Ausrichtung des Seminars einen Einblick in die Probleme, Methoden und Denkweisen anderer Studienfächer und schärfen damit ihre reflexive und argumentative Kompetenz.
Keine formalen Teilnahmevoraussetzungen; die Bereitschaft zur regelmäßigen aktiven Mitarbeit und die Lektüre der u. g. Literatur (in Auswahl) zur Vorbereitung wird vorausgesetzt
Bitte beachten Sie, dass das Seminar keine allgemeine Einführung in die Religionspsychologie darstellt, sondern sich ausschließlich mit dem Verhältnis von Religiosität und Gesundheit beschäftigt. Eine Einführung in die historischen Grundlagen der Relionspsychologie und zentrale religionsspychologische Entwürfe bietet die Lehrveranstaltung "Einführung in die Geschichte der Religionspsychologie" von Frau Britta Richter, Montag 14.00 -16.00 Uhr.
Zur Vorbereitung auf das Seminar wie auch zur begleitenden Lektüre empfiehlt sich das folgende Buch (weitere Literatur wird im Laufe des Seminars bekannt gegeben bzw. zur Verfügung gestellt):
Klein, C., Berth, H. & Balck, F. (Hrsg.) (2011). Gesundheit – Religion – Spiritualität. Konzepte, Befunde und Erklärungsansätze. Weinheim: Juventa.
Rhythmus | Tag | Uhrzeit | Format / Ort | Zeitraum |
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Studiengang/-angebot | Gültigkeit | Variante | Untergliederung | Status | Sem. | LP | |
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Evangelische Theologie / Bachelor | (Einschreibung bis SoSe 2011) | Kern- und Nebenfach | PT/RP Ic; PT/RP II/1a; PT/RP II/2a; RW c | 3 | |||
Evangelische Theologie / Master of Education | (Einschreibung bis SoSe 2014) | PT/RP Ic; PT/RP II/1a; PT/RP II/2a; RW c | 3 | ||||
Frauenstudien | (Einschreibung bis SoSe 2015) | Schwerpunkt III |
Voraussetzungen für die Vergabe von Leistungspunkten sind die regelmäßige Teilnahme und die aktive Mitarbeit in Form von unbenoteten Einzelleistungen (Diskussionsbeiträge, Referate u.a.) wofür 3 Leistungspunkte vergeben werden. Über Hausarbeiten besteht zudem die Möglichkeit, im Rahmen der Veranstaltung einen Modulabschluss zu erwerben.