230655 Satyrica: Petrons erotischer "Schelmenroman" und seine neuzeitliche Rezeption von François Nodot bis Federico Fellini (S) (WiSe 2006/2007)

Dank ihrer geistreichen Ironie, sexuellen Freizügigkeit und formalen Vielfalt (Prosa mit poetischen Einlagen in verschiedenen Versmaßen) erscheinen uns Petrons Satyrica als eines der "modernsten" Werke der antiken Literatur überhaupt. Obgleich sich nur Fragmente erhalten haben, vermag dieser "Roman" avant la lettre, der vermutlich zur Zeit Kaiser Neros entstanden ist, noch heutige Leser in seinen Bann zu schlagen. Die ungebrochene Wirkung beruht nicht zuletzt auf seinem episodischen Charakter: In kaleidoskopartigem Wechsel der Situationen macht uns der junge Ich-Erzähler Encolp mit immer neuen (meist erotischen) Abenteuern und grotesken Begebenheiten vertraut, die er im halbgriechischen Süditalien durchlebt haben will. Das längste zusammenhängende und zugleich berühmteste Bruchstück schildert im Detail das dekadente Gastmahl eines verschrobenen Neureichen (Cena Trimalchionis).

Das Seminar wird sich schwerpunktmäßig mit literatur- und kulturgeschichtlichen Fragen beschäftigen, die der Petron-Text selbst aufwirft (da wir in aller Regel mit deutschen Übersetzungen arbeiten, sind Kenntnisse der lateinischen Sprache nicht erforderlich!). Ein größerer Raum soll darüberhinaus jedoch auch der Rezeptionsgeschichte vorbehalten sein, insbesondere dem "Fälscher" François Nodot, der die Lücken der Überlieferung phantasievoll ausgefüllt hat (1692), sowie Federico Fellini, dessen Film Satyricon sehr frei mit dem Stoff umgeht, seinen Tenor aber kongenial trifft (1969). Bei Interesse könnten außerdem der Roman Quo vadis von Henryk Sienkiewicz, in dem Petron als Hauptfigur fungiert (1896), und die Oper Satyricon von Bruno Maderna (1973) behandelt werden.