THEORETISCHER UND METHODISCHER RAHMEN
In der Soziologie wurde immer wieder diskutiert, inwiefern sich in der Moderne die traditionellen Bindungen und die „communities“ auflösen und soziales Kapital verloren geht (in Putnams „Bowling Alone“) oder inwiefern für die Großstadt ‚Un-Orte‘ typisch sind (Augés „Non-lieux“). Mit Oldenburgs (1989) Begriff der ‚third places‘ verschiebt sich die Perspektive. Oldenburg teilt unsere Lebensräume in drei Orte ein: den ersten Ort (das Zuhause), den zweiten Ort (den Arbeitsplatz), als dritte Orte bezeichnet er öffentliche oder halb-öffentliche Räume, in denen wir uns wiederkehrend und auch länger aufhalten und die urbane Orte (‚Hangouts‘) für die verschiedensten Aktivitäten bilden: Cafés, Shopping Malls, Fitness Studios, Parks, Pubs u.v.a.m. Diese dritten Orte sind nicht einfach nur Aufenthaltsräume; wir finden dort vertraute Ecken und bekannte Gesichter vor. Sie bieten eine Infrastruktur und Gelegenheit zur Vergesellschaftung. Hier verdichten sich Kommunikationen: Es wird viel geredet, und es werden Sozialkontakte geknüpft. Sie sind, so Oldenburg, „’homes away from home’, where unrelated people relate“. Dies gilt auch für Stadtbibliotheken, von denen sich viele gerade neu erfinden, wie etwa die Zentralbibliothek der Hamburger Bücherhallen, das ‚Dokk1‘ in Aarhus oder das ‚Oodi‘ in Helsinki, die von Besuchern geradezu überrannt werden. Offensichtlich erfüllen sie eine ähnliche Funktion wie vormals die Straßenecken in Slums (Liebow, Whyte). Solche dritten Orte sind Gegenstand dieser Lehrforschung. Wie sehen diese urbanen Orte aus? Welche räumlichen und materiellen Ressourcen bieten sie? Welche Rolle spielen Medien? Wie verbinden sie sich mit dem weiteren städtischen Raum, und worin unterscheiden sie sich von ihm? Wer geht dort hin, und was tun die Leute dort? Wie kommen sie in Kontakt miteinander? Wie verbindlich/unverbindlich bleiben die Begegnungen? Welche Formen von Geselligkeit entstehen hier? Wie unterscheiden sie sich von der Street Corner? Wie verändern diese Orte das urbane Leben?
Wir erarbeiten uns in der Veranstaltung die zentralen Begriffe der Interaktionsforschung (Goffman) und widmen uns klassischen stadtsoziologischen Texten (Simmel, Weber, Sennett). Die Veranstaltung bildet den ersten Teil einer auf zwei Semester angelegten (‚großen‘) Lehrforschung. Sie wird den Studierenden Gelegenheit geben, innerhalb eines gemeinsamen Themas eine eigene Fragestellung zu erarbeiten und sich intensiv mit dem Prozess qualitativen Forschens auseinanderzusetzen. Die Veranstaltung konzentriert sich auf ethnographische Verfahren. Wie untersucht man solche urbanen Formationen? Wo ist teilnehmende Beobachtung möglich, wo führt man ethnographische Interviews, wo sammelt man Artefakte und Texte, wo kann man fotografieren oder filmen? Wann und wo kann oder muss man verschiedene Methoden miteinander kombinieren?
LEHRMETHODE
Nach theoretischer und methodischer Einführung in das Thema folgt die eigenständige Arbeit der Studierenden mit fortlaufender methodischer Supervision und methodologischer Begleitung. Die Veranstaltung zielt darauf, empirisches Material mit methodologischen Fragen und theoretischen Bezügen zu verbinden. Die Lehrforschung ist als Forschungswerkstatt konzipiert, das heißt, die Teilnehmenden bilden eine Interpretationsgruppe, die gemeinsam voranschreitet. Die Teilnehmenden verpflichten sich zu Vor- und Nachbereitung der Sitzungen, darüber hinaus zu regelmäßiger Teilnahme (was auch bedeutet, dass man sich für Abwesenheit entschuldigt).
Breidenstein, Georg/Hirschauer, Stefan/Kalthoff, Herbert/Nieswand, Boris: Ethnographie. Die Praxis der Feldforschung. Konstanz: UVK, 2013.
Goffman, Erving: Das Individuum im öffentlichen Austausch. Mikrostudien zur öffentlichen Ordnung. Frankfurt am Main, 1982 (orig.: Relations in Public. Microstudies of the Public Order. Harmondsworth, 1971).
Oldenburg, Ray: The Great Good Place. Cafés, Coffee Shops, Bookstores, Bars, Hair Salons, and other Hangouts at the Heart of a Community. Cambridge, MA: Da Capo Press, 1999.
Frequency | Weekday | Time | Format / Place | Period |
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Module | Course | Requirements | |
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30-M-Soz-M3_LF2 Lehrforschung in Soziologische Methoden | Alternativ zu Seminar 1 und Seminar 2: großes Seminar | Study requirement
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Student information |
The binding module descriptions contain further information, including specifications on the "types of assignments" students need to complete. In cases where a module description mentions more than one kind of assignment, the respective member of the teaching staff will decide which task(s) they assign the students.