230341 Mittelalterliche Hermeneutik (V) (SoSe 2007)

Die Geschichte des Verstehens von literarischen Texten ist eng an das Verstehen und Auslegen biblischer Texte gebunden. In der Auseinandersetzung mit dem göttlichen Wort der Heiligen Schrift wurden wohl alle hermeneutischen Fragen und Probleme verhandelt, die Geistes- und Kunstwissenschaften noch heute bewegen. Im Gegensatz zur modernen Theologie ging man im Mittelalter jedoch von einer unendlichen Bedeutungsfülle der Offenbarung aus, die für Lehr- und Lernzwecke systematisch eingegrenzt werden musste (Lehre vom drei- oder vierfachen Schriftsinn). Außerdem sah man die Schöpfung als materialisiertes Wort Gottes an, weshalb hermeneutische Verfahren auf die Betrachtung der Natur übertragen werden konnten (wovon die moderne Naturwissenschaft mit einem eigenständigen Ansatz des "Erklärens" sich absetzt).

Die Vorlesung führt ein in die Geschichte biblischen und nichtbiblischen Textverständnisses, gibt einen Überblick über die Verfahren und Spielarten der Naturallegorese und behandelt ausführlich die Relevanz für die vormoderne Literatur und Kunst.

Literaturhinweise:

Friedrich Ohly, Schriften zur mittelalterlichen Bedeutungsforschung, Darmstadt 1977.

Hennig Brinkmann, Mittelalterliche Hermeneutik, Darmstadt 1980.