230309 Unterwegs im Mittelalter: Mobilität und Literatur vor Kolumbus (V) (WiSe 2004/2005)

Räumliche Mobilität ist heute oft mit verschiedenen Formen der Schriftlichkeit verbunden. Von Reiseprospekten, Wanderführern oder Kursbüchern über Orts- und Straßenschilder, Fahrtenbücher, Urlaubspostkarten und Einträgen in Gipfel- oder Hüttenbücher reicht die Palette bis hin zu Schulaufsätzen über (schöne) Ferienerlebnisse und zu Romanen, die einen Reisebericht des Protagonisten fingieren. Das war im Mittelalter - allen Behauptungen von der angeblich illiteralen Gesellschaft zum Trotz - nicht grundsätzlich anders. Es variieren freilich die Anlässe für das Unterwegssein mittelalterlicher Menschen, das (hand-)schriftliche Zeugnisse hervorgerufen hat: Die Missionierung der germanischen Stämme, viele Kirchen- und Ordensversammlungen, die translationes von Heiligenreliquien, individuelle Pilgerreisen wie kollektive Wallfahrten haben sich ebenso literarisch nieder geschlagen wie Kreuzzüge und profane Kriege, Händlerreisen, Botenwege, sowie das Umherziehen von Spielleuten und Studenten (vagantes). Der prominenteste Fall ist sicher der Ritter auf aventiure, der die Struktur des höfischen Romans bestimmt. Darüber hinaus gab es auch Literatur, die für den Gebrauch auf der Reise bestimmt war: Reiseführer (z.B. 'Mirabilia Romae'), Sprachführer (z.B. 'Pariser Gespräche') oder Zerstreuungsliteratur für Unterwegs (z.B. 'Rollwagenbüchlein'). Die Vorlesung, die sich an interessierte Hörer aller Fächer und Semester wendet, will einen Überblick über alle Textsorten geben, in denen vor dem Zeitalter der Entdeckungen das Unterwegssein auf fiktionale oder nichtfiktionale Weise zur Sprache kommt. Im Zentrum werden dabei die großen mittelalterlichen Reisebücher stehen, allen voran die von Jean de Mandeville und Marco Polo.