Traditionelle Sprachlerntheorien gehen davon aus, dass der Mensch mit einer angeborenen Erwerbsfähigkeit ausgestattet ist oder dass der Spracherwerb ein Sonderfall allgemeinerer kognitiver Lernmechanismen ist. Zwar wird zugestanden, dass affektive und soziale Faktoren (u.a. Motivation, Angst, soziale Position des Sprachlernenden, gesellschaftliche Einstellung zu Mehrsprachigkeit, institutionelle und politische Rahmenbedingungen des Sprachenlernens) den Zweitspracherwerb oder das Fremdsprachenlernen beeinflussen können, aber der Erwerbs- oder Lernprozess soll – so die Annahme – im Kern letztlich doch im Gehirn stattfinden.
Entgegen einem solch engen kognitivistischen Verständnis von Sprachenlernen haben spätestens mit der Jahrtausendwende eine ganze Reihe von Forschungsansätzen die dynamische Interaktion zwischen soziokultureller Umwelt und individueller Kognition zum Gegenstand von empirischen Untersuchungen und Theoriebildungen gemacht. Dazu zählt vor allem die Soziokulturelle Theorie (vgl. Lantolf 2006; Ohm 2007).
Soziokulturelle Ansätze verstehen Sprachaneignung als Internalisierung des soziokulturellen Gebrauchs und der soziokulturellen Funktion von (sprachlichen) Artefakten. Sprachaneignung zielt demnach darauf ab, dass Lernende in die Lage versetzt werden, ihr eigenes Verhalten und und das Verhalten anderer in soziokulturellen Kontexten zu regulieren (Swain et al. 2015; Ohm 2021). Insbesondere die unter den Bedingungen von Mehrsprachigkeit stattfindenden Sprachaneignungsprozesse sind für Lernende aber häufig von irritierenden und konfliktträchtigen Ausdifferenzierungen des Wahrnehmens, Deutens, Wollens und Handelns begleitet und nicht selten mit Diskriminierungserfahrungen verbunden. Eine soziokulturell fundierte Sprachlehr- und ‑lernforschung muss diese Erfahrungsebene der Sprachaneignung berücksichtigen und neben der kommunikativen Kompetenz auch symbolische Kompetenz vermitteln (Kramsch 2011, 2021).
Nach einer Einführung in den theoretischen Rahmen und zentrale Begriffe der Soziokulturellen Theorie werden die Begrifflichkeiten auf der Basis eines Readers mit Grundlagentexten vertiefend behandelt und an Beispielen und Daten aus unterschiedlichen Forschungszusammenhängen und Unterrichtkontexten diskutiert.
Kramsch, Claire (2011): Symbolische Kompetenz durch literarische Texte. In: Fremdsprache Deutsch (44), S. 35–40.
Kramsch, Claire J. (2021): Language as symbolic power. Cambridge, United Kingdom, New York, NY: Cambridge University Press (Key topics in applied linguistics).
Lantolf, James P. (2007): Sociocultural Theory. In: Jim Cummins und Chris Davison (Hg.): International handbook of English language teaching, Bd. 15. 2 Bände. New York, NY: Springer (Springer international handbooks of education, 15), S. 693–700
Ohm, Udo (2007): Informationsverarbeitung vs. Partizipation. Zweitsprachenerwerb aus kognitiv-interaktionistischer und soziokultureller Perspektive. In: Hans-Jürgen Krumm und Ruth Eßer (Hg.): Bausteine für Babylon: Sprache, Kultur, Unterricht … Festschrift zum 60. Geburtstag von Hans Barkowski. München: Iudicium Verlag, S. 24–33.
Ohm, Udo (2021): Der Zusammenhang von Fachlernen und Sprachlernen aus der Perspektive Soziokultureller Theorien. Darstellung und kritische Diskussion zentraler Begriffe mit Überlegungen für eine grundlagentheoretische Fundierung. In: Mirka Mainzer-Murrenhoff, Sandra Drumm und Lena Heine (Hg.): Sprachtheorien in der Zweit- und Fremdsprachenforschung. Basis für empirisches Arbeiten zwischen Fach- und Sprachlernen. Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren, S. 34–60.
Swain, Merrill; Kinnear, Penny; Steinman, Linda (2015): Sociocultural Theory in Second Language Education. An Introduction through Narratives. 2nd ed. Bristol: Channel View Publications.
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23-DAF-M7a Sprachlehr- und Sprachlernwissenschaften | Projekt-Seminar | benotete Prüfungsleistung
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