221057 Verwandtschaft. Zur Geschichte einer Denkform sozialer Ordnung im Mittelalter (S) (SoSe 2003)

Während der letzten etwa zwanzig Jahre hat sich das geschichtswissenschaftliche Verständnis von mittelalterlichenVerwandtschaftspraktiken grundlegend geändert. Dies hat mit der Integration anthropologischer und soziologischer, aber auch liturgiewissenschaftlicher oder religionsphänomenologischer Perspektiven in die Forschung zu tun. Die Verwandtschaftsforschung hat akzeptiert, daß Verwandtschaft keine biologische Tatsache ist, sondern eine Denkweise sozialer Beziehungen. Sie ist ein kulturspezifisches gedankliches System, mit dem sich soziale Beziehungen aller Art strukturieren lassen. Wer bei dem Stichwort 'Verwandtschaft' also nur an Abstammungs- und Heiratsbeziehungen denkt, kann die strukturierende Funktion von Verwandtschaft in den vormodernen Gesellschaften Europas nicht ermessen. Die Verwandtschaftsforschung hat eben erst damit begonnen, das Forschungsfeld neu zu definieren und dabei zunächst einmal alle Beziehungen in den Blick zu nehmen, die in einer Gesellschaft mit den Termini der Verwandtschaft definiert worden sind: Von Abstammungs- und Heiratsgemeinschaften bis hin zu Bruderschaften oder zu der fraternitas der Bischöfe untereinander.

Teilnahmevoraussetzungen, notwendige Vorkenntnisse

Abgeschlossenes Grundstudium/Zwischenprüfung

Literaturangaben

Michael Borgolte, Sozialgeschichte des Mittelalters: Eine Forschungsbilanz nach der deutschen Einheit, München 1996, S.385ff. Anita Guerreau, Josepf Morsel, Regine Lejan, Familie und Verwandtschaft, in: Mittelalterforschung in Frankreich und Deutschland heute, hg. von Otto Gerhard Oexle und Jean-Claude Schmitt, Göttingen 2001 (Photokopie in meinem Sekretariat erhältlich). Bernhard Jussen, Art. Verwandtschaft, in: Lexikon des Mittelalters 8, 1997, Sp. 1596-1599.