300033 "Lagertexte" - Soziologie und Literatur der Konzentrationslager (S) (WiSe 2018/2019)

Das Seminar widmet sich „Lagertexten“ – also Texten aus und über die nationalsozialistischen Konzentrationslager – aus literaturwissenschaftlicher und soziologischer Perspektive. Zum einen sollen Konzentrationslager aus einer organisationssoziologischen Perspektive betrachtet werden. Wie kann der Alltag der Insassen, aber auch des Personals beschrieben werden? Wie wurde das Zusammenleben in diesen „totalen Organisationen“ (Erving Goffman) strukturiert? Welche Möglichkeiten des (inneren) Auswegs, der Realitätsflucht gab es und wie konnte sich vielleicht sogar Widerstand gegen die gewaltvollen Lagerstrukturen organisieren?

Zum anderen wird sich das Seminar mit Egodokumenten und literarischen Texten aus den und über die Konzentrationslager beschäftigen. Im Zentrum steht dabei die Frage nach Schreibweisen und ästhetischen Verfahren, derer sich Autor*innen bedient haben, um ihre Erfahrungen im Konzentrationslager auszudrücken. Wie werden Organisationsstrukturen, Herrschaftsverhältnisse und Topographien des Lagers thematisiert? Welche Ausdrucksformen werden genutzt, um die (Überlebens-)Bedingungen im Konzentrationslager zur Darstellung zu bringen? Wir werden Gewalt, Folter und Tod beschrieben? Und wie wird dem Leid, dem Schmerz, der Angst aber auch der Hoffnung, der Solidarität und dem Widerstand Ausdruck verliehen? Und immer wieder die Frage: Was wird erzählt und über was wird geschwiegen?

Es wird zudem darum gehen, die disziplinären Schnittstellen zwischen der Literaturwissenschaft und der Soziologie auszuloten. Zu fragen wäre zum Beispiel: Ob und wie können Berichte Überlebender und autobiografische literarische Texte als soziologische Quelle verwendet werden? Wie lassen sich Erlebensrealitäten aus Akten und Archivmaterialien rekonstruieren? Ob und wie schlagen sich etablierte literarische Topoi und Erzählstrukturen in autobiografischen Zeugnissen und / oder in soziologischen Abhandlungen nieder? Und welche Bedeutung kann authentisches Material für die Produktion literarischer – auch fiktionaler – Texte spielen?