Organisationen sind typischerweise primär einem Funktionssystem der Gesellschaft zugeordnet (obgleich sie immer zur Reproduktion mehrerer Funktionssysteme beitragen): man denke an Unternehmen, Parteien, Kirchen, Verlage, Museen. (Deutsche) Universitäten weichen von diesem Muster ab, denn sie sind in Humboldtscher Tradition zugleich Organisationen des Wissenschaftssystems als auch des Erziehungssystems (=Bildungssystem). Das Seminar soll die Möglichkeit bieten, sich mit Mitteln der soziologischen Theorie dem Phänomen Universität anzunähern – und so auch die einschlägige Alltagsempirie der Teilnehmer soziologisch zu reflektieren. Den analytischen Rahmen dafür bietet, wie bereits angeklungen, die Systemtheorie, insbesondere folgende zwei Theoreme:
1) Funktionale Differenzierung
Grundlegend geht es darum, nachzuvollziehen, wie Wissenschaft und Erziehung in der Universität zusammenhängen – und inwiefern sie voneinander unterschieden sind. Weiter soll diskutiert werden, ob der aktuelle Strukturwandel der Universitäten als Evolutionsprozess zu verstehen ist, der mit dem Theorem funktionaler Differenzierung plausibel analysiert werden kann. Einfach gesprochen: Findet derzeit eine stärkere organisatorische Separierung von Forschungs- und Erziehungsfunktion statt? Welche Funktionen und Folgeprobleme lassen sich an dem aktuellen Wandel in dieser Hinsicht beobachten? Wie viel Wissenschaftlichkeit braucht ein Studium? Welche gesellschaftlichen Funktionen hat das Studieren überhaupt? Wie ist das Verhältnis von Hochschule und gesellschaftlicher Umwelt, insbesondere auch das Verhältnis Universität/Wirtschaftssystem zu verstehen?
2) Ebenendifferenzierung
Das zweite theoretische Leitkonzept der Veranstaltung ist das der Ebenendifferenzierung, also die Unterscheidung von Interaktion, Organisation und Gesellschaft als Systemtypen eigener Art. Die Systemtheorie geht davon aus, dass zwischen diesen emergenten Ebenen der Sozialität kein Rationalitätskontinuum besteht: beim Übergang zwischen den Ebenen kommt es üblicherweise zu nicht-intendierten Effekten. Die Senkung der internationalen Mobilität der Studierenden durch Curriculumsreformen, die das Gegenteil bezwecken sollten, wäre ein einschlägiger Fall. Die Frage, inwieweit durch organisatorische Konditionierung und Kontrolle die Qualität der interaktiv zu vollziehenden Lehre gesteigert werden kann, ein zweiter, der zu diskutieren sein wird.
Ein besonderes Interesse an theoretischen Analysen, die Bereitschaft zur Lektüre schwieriger Texte (teilweise englisch) sowie regelmäßige Diskussionsteilnahme werden erwartet. Gewisse Vorkenntnisse der Systemtheorie und/oder anderer soziologischer Zugänge zum Gegenstandsbereich sollten vorhanden sein.
Kieserling, André, 2001: Bildung durch Wissenschaftskritik. Soziologische Deutungen der Universitätsidee in den sechziger Jahren, in: Stölting, Erhard/Schimank, Uwe (Hrsg.), Die Krise der Universitäten. Leviathan : Sonderheft 20. Wiesbaden: Westdt. Verl., 81–117.
Luhmann, Niklas, 1987: Zwischen Gesellschaft und Organisation. Zur Situation der Universitäten, in: Soziologische Aufklärung 4. Beiträge zur funktionalen Differenzierung der Gesellschaft. Köln [u.a.]: Westdt. Verl., 202–211.
Luhmann, Niklas, 1991: Interaktion, Organisation, Gesellschaft, in: Soziologische Aufklärung 2. Aufsätze zur Theorie der Gesellschaft. Köln [u.a.]: Westdt. Verl., 9–20.
Stichweh, Rudolf, 1994: System-Umwelt-Beziehungen europäischer Universitäten in historischer Perspektive, in: Wissenschaft, Universität, Professionen. Soziologische Analysen. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 174–192.
Frequency | Weekday | Time | Format / Place | Period | |
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weekly | Mi | 12-14 | U4-217 | 13.10.2009-02.02.2010 | |
one-time | Mi | 12-14 | T2-214 | 03.02.2010 | |
one-time | Do | 14-16 | U3-122 | 04.02.2010 |
Degree programme/academic programme | Validity | Variant | Subdivision | Status | Semester | LP | |
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Soziologie / Diplom | (Enrollment until SoSe 2005) | 2.1.3 | Wahlpflicht | HS | |||
Soziologie / Master | (Enrollment until SoSe 2012) | Modul 6.2 | 3 | (bei Einzelleistung 3 LP zusätzlich) |
Eine ‚aktive Teilnahme’ erfordert die regelmäßige Anwesenheit, sowie die wöchentliche Vorbereitung der Seminardiskussion in einem Stud-IP-Forum. Hierbei kann der individuelle Beitrag sowohl im Einsenden einer Frage oder These zum aktuellen Text liegen, als auch in der seinerseits textbezogenen Beantwortung bzw. Kommentierung des Beitrages eines Kommilitonen. Die Online-Beiträge werden in der Seminardiskussion selektiv weiterverwendet. Die Bedingungen zum Erwerb einer benoteten Einzelleistung können fallspezifisch am Semesteranfang geklärt werden.