230430 Die Groteske - Literatur, Malerei, Theorie (S) (WiSe 2016/2017)

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„[D]as Groteske ist die entfremdete Welt.“ Mit dieser allumfassenden Formel beschließt Wolfgang Kayser seinen wirkungsmächtigen Versuch, die Struktur des Grotesken in Malerei und Dichtung als Krisenphänomen zu deuten, das die Geschichte der Neuzeit und der Moderne als Gegendiskurs begleitet hat bis in die Gegenwart. Nicht „Todesfurcht“ kennzeichne das Phänomen, sondern „Lebensangst“: eine Differenzierung, die man auch bei Heidegger findet. Diese Angst ist so untergründig wie unfassbar. Man kann nicht reagieren wie im Moment der Furcht vor unmittelbarer Bedrohung. Kein Handeln wäre angemessen. Die „Kategorien unserer Weltorientierung versagen“; „was uns vertraut und heimisch war, [enthüllt] sich plötzlich als fremd und unheimlich“. Der „Wahnsinn“ und der „Traum“ sind die Erfahrungsräume, in denen das Groteske auftritt. „Verlässlichkeit [erweist] sich als Schein“: in der „Aufhebung der Statik“, dem „Verlust der Identität“, der „Verzerrung der ‚natürlichen‘ Proportionen“. Der groteske Blick ist in den „Abgrund“ gerichtet. Ihm „entsteigen die Tiere der Apokalypse, Dämonen brechen in den Alltag“ ein.

Schon Kayser sieht in der Groteske aber zugleich eine „Gestaltung des ‚Es‘“. Das Dämonische hat seinen Urgrund in uns selbst, im Konflikt von Triebstruktur und sozialem Handeln. Was monströs wirkt, ist nur die nach außen projizierte Unfähigkeit, die Instanzen angemessen, zivilisiert auszuhandeln und den Anforderungen des Über-Ichs Rechnung zu tragen, ohne wiederum in die Neurose zu verfallen. Das Groteske hingegen zeigt, wie die Ich-Bildung scheitert und das Es in seiner kruden Leiblichkeit dominiert.

Denn Grotesk ist nicht nur die Welt, sondern auch der Körper, der in ihr agiert. Diesen zweiten Aspekt, den Kayser ebenfalls sieht – und mit den Bildern von Hieronymus Bosch oder Pieter Bruegel illustriert –, macht Michail Bachtin stark. Der groteske Leib ist der unfertige und unabgeschlossene. Er stabilisiert nicht das Selbst, sondern ist Ausdrucksform seiner Auflösung. Die „Akte des Körperdramas“ selbst sind transitorisch. Sie verbinden den Leib mit der Umwelt – und wirken schon deshalb prekär. Die Gesellschaft handelt aus, wie diese Akte gestaltet werden, was gemeinsam, was individuell zu performieren ist, was peinlich oder schamvoll erscheint und mit einem Tabu belegt ist: „Essen, Trinken, Ausscheidungen (Kot, Urin, Schweiß, Nasenschleim, Mundschleim), Begattung, Schwangerschaft, Niederkunft, Körperwuchs, Altern, Krankheiten, Tod, Zerfetzung, Zerteilung, Verschlingung durch einen anderen Leib – alles das vollzieht sich an den Grenzen von Leib und Welt“, formuliert Bachtin. Der groteske Körper konzentriert sich „auf Öffnungen (Mund, Vagina, After, Wunden) und Höhlungen (Bauch, Magen, Gebärmutter) sowie auf all das, was über die geglättete Idealsilhouette hinausragt (Extremitäten, Brüste, Penis, Buckel, hervorquellende Augen, große Nasen). [Er] zeigt eine Vorliebe für alles, was das normale Maß überschreitet, und für die Asymmetrie. / Während das Klassische die Geschlossenheit der Körpergrenze betont, verweist das Groteske auf ihre Offenheit und Brüchigkeit. Öffnungen, Höhlungen, Erhebungen und Hervorhebungen sind die Punkte, an denen der Körper seine Grenze überschreitet und sich chimärisch mit seiner Umgebung vermischt, die Orte, an denen er in die Welt hineinragt und sie in sich hineinnimmt“, ergänzt Peter Fuß die subversive Auslegung bei Bachtin.

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