230401 Die Ästhetik und Kultur des Geldes (S) (WiSe 2010/2011)

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"Was aber ist Geld? Eine Konvention, ein Symbol, eine Allegorie, ein Fetisch? Ein Segen oder ein Verhängnis? Woher rührt sein Wert und wie verhält er sich zu anderen Werten? Wie ist das Geheimnis zu entschlüsseln, dass dieses stoffliche Nichts eine derartige Macht über die Menschen gewinnen kann, dass sie für Geld alles tun? Wieso die Gier danach auch dort, wo es im Überfluss vorhanden ist." (Philosophicum Lech 2008)
Die aktuellen Finanzkrisen haben es verstärkt demonstriert: Geld ist mehr als nur ein Zahlungsmittel. Es ist ein soziales Faktum und ein Kommunikationsmedium. Seine Verfügbarkeit ist die konstitutive Voraussetzung für die Teilnahme an spezifischen Kommunikationsverhältnissen. Wer mitreden will, muss auch zahlen können. Mangelnde Liquidität bedeutet die Exklusion aus der Interaktion und gewissermaßen auch einen sprachlichen Gesichtsverlust. Daher müssen auch staatliche Instanzen eingreifen, um sich verkalkulierende Banker und Spekulanten auszuhelfen. Das Geld ist immer auch ein Mittel der Repräsentation. Bereits der junge Marx hat es folgendermaßen zusammengefasst: "Was durch das Geld für mich ist, was ich zahlen, d.h., was das Geld kaufen kann, das bin ich, der Besitzer des Geldes selbst. So groß die Kraft des Geldes ist, so groß ist meine Kraft. Die Eigenschaften des Geldes sind meine, seines Besitzers Eigenschaften und Wesenskräfte." Somit kommt dem Geld eine metaphorische Funktion zu. Es dient der Visualisierung dieses 'Mich'. Es verwundert daher nicht, dass sich auch die Künste dem Geld verstärkt annehmen. Dies erfolgt jedoch in den meisten Fällen nicht hinsichtlich einer Verdeutlichung des Verhältnisses zwischen Kunst und Kapital, mit Blick auf den sogenannten Kunstmarkt. Das wird den Wirtschaftswissenschaften überlassen. Stattdessen steht eine ästhetisierende und fetischisierende Betrachtung des Geldes selbst im Mittelpunkt. Vor allem in der romantischen Literatur verschreiben sich viele Künstlerfiguren dem Kapitalzuwachs und geben dafür Familie, Soziotop und Natur auf. Das Seminar wird daher facettenreich nach einer Verschränkung von künstlerischer Tätigkeit und ökonomischer Praxis fragen: Gibt es Parallelen zwischen Künstlerpoetiken und ökonomischen Sachverhalten? Warum und wodurch werden Geld und Kapitalvermehrung zu ästhetischen Verfahren? Mit welchen formal-ästhetischen und rhetorisch-figurativen Mitteln werden Geld und Ökonomie in Szene gesetzt und: Sind derlei Interessen hinsichtlich einer zunehmenden Globalisierung der Finanzmärkte nicht obsolet geworden ? Vor dem Hintergrund dieser Themenkomplexe werden vor allem Texte der Romantik (Zeit des Frühkapitalismus) und der Gegenwartsliteratur im Zentrum der Betrachtung stehen. Nach einer auszugsweise erfolgenden Lektüre zentraler Kapitel aus Karl Marx "Kritik der politischen Ökonomie" (1895) und Georg Simmels "Philosophie des Geldes" (1900) wird sich eine Diskussion zentraler aktueller kulturwissenschaftlicher Positionen zu Fragen der Ökonomie (Hans Christoph Binswanger, Gottfried Gabriel, Michael Hutter, Konrad Paul Liessmann u.a.) anschliessen. Ausgehend von der (vor allem für die Literatur zutreffende) dialektischen Perspektive aus Kapitalismuskritik und Kapitalismusfaszination könnten Texte gemeinsam gelesen und analysiert werden von Abbé Galiani, Adalbert Chamisso, Wilhelm Hauff, E.T.A. Hoffmann, Friedrich de la Motte Fouqué, Ludwig Tieck, Theodor Storm, Charles Baudelaire, Émile Zola, Charles Dickens, F. Scott Fitzgerald, Urs Widmer, Bret Easton Elis u.a. Filme wie Oliver Stones Börsenthriller "Wall Street" (1987), dessen Fortsetzung im Oktober 2010 in den Kinos anlaufen soll, sowie Auschnitte aus Luigi Perellis Serie "La Piovra"/"Allein gegen die Mafia" (1984-2000) werden das Seminar abrunden, um den vielfältigen Inszenierungsformen von Geld und Ökonomie auf die Spur zu kommen. Die Frage, ob die Gier selbst eine ästhetische Erfahrung ist, könnte die Lehrveranstaltung motivierend begleiten. Oliver Stones Finanzhai Gordon Gekko behauptete immerhin, daß sie gut sei!
Die theoretischen Texte werden in einem Reader zur Verfügung gestellt, der gegen Ende der vorlesungsfreien Zeit (ca. Ende September) erworben werden muß.

Literaturhinweise:
1) Lothar Bornscheuer: "Zur Geltung des 'Mythos Geld' im religiösen, ökonomischen und poetischen Diskurs", in: Rolf Grimminger/Iris Hermann (Hgg.): Mythos im Text. Zur Literatur des 20. Jahrhunderts, Bielefeld 1998, S. 55-105.
2) Fritz Breithaupt: Der Ich-Effekt des Geldes. Zur Geschichte einer Legitimationsfigur, Frankfurt am Main 2008
3) Richard Bronk: The Romantic Economist. Imagination in Economics, Cambridge 2009.
4) Johannes Burkhardt/Birger P. Pridat (Hgg.): Geschichte der Ökonomie. Texte und Kommentare, Frankfurt am Main 2009.
5) der blaue reiter 11, Thema Geld (2000).
6) Manfred Frank: "Steinherz und Geldseele. Ein Symbol im Kontext", in: ders. (Hg.): Das kalte Herz und andere Texte der Romantik, Frankfurt am Main 1978, S. 233-366.
7) Manfred Frank: "Das Motiv des 'kalten Herzens' in der romantisch-symbolistischen Dichtung", in: ders.: Kaltes Herz, Unendliche Fahrt, Neue Mythologie. Motiv-Untersuchungen zur Pathogenese der Moderne, Frankfurt am Main 1989, S. 11-49.
8) Hans Ulrich Hirschfelder/Gert Nieke (Hgg.): Kopf oder Zahl. Ein Lesebuch vom Geld, Frankfurt am Main 1990.
9) Jochen Hörisch: Kopf oder Zahl. Die Poesie des Geldes, Frankfurt am Main 1996.
10) Michael Hutter: Wertwechselstrom. Texte zu Kunst und Wirtschaft, Hamburg 2010.
11) Konrad Paul Liessmann (Hg.): Geld. Was die Welt im Innersten zusammenhält?, Wien 2009 (Philosophicum Lech 12)
12) Dieter Schnaas: Kleine Kulturgeschichte des Geldes, München 2010.
13) Georg Simmel: Philosophie des Geldes, hg. von David P. Frisby und Klaus Christian Köhnke, Frankfurt am Main 1989.
14) Joseph Vogl: Kalkül und Leidenschaft. Poetik des ökonomischen Menschen, Zürich 2002².
15) Torsten Voß: "Kapitalismus als Ästhetizismus. Die Geburt des Künstlers aus dem Geiste der Ökonomie. Tieck, Hoffmann, Hauff", in: literatur für leser 1 (2009), S. 51-63.

Requirements for participation, required level

Vorausgesetzt wird der erfolgreiche Besuch einer "Einführung in die germanistische Literaturwissenschaft" und der
literaturgeschichtlichen Basismodule. Wünschenswert wären
auch erste Erfahrungen im Umgang mit literaturtheo-
retischen Positionen und philosophischen Texten

Teaching staff

Dates ( Calendar view )

Frequency Weekday Time Format / Place Period  
weekly Mi 16-18 H16 11.10.2010-04.02.2011
not on: 1/19/11
one-time Mi 16-18 C01-226 19.01.2011

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Subject assignments

Degree programme/academic programme Validity Variant Subdivision Status Semester LP  
Germanistik / Bachelor (Enrollment until SoSe 2011) Kern- und Nebenfach BaGerP2S; BaGerP2G   2/5  
Germanistik / Master of Education (Enrollment until SoSe 2014) BaGerP2S; BaGerP2G   2/5  
Germanistik (GHR) / Master of Education (Enrollment until SoSe 2014) BaGerP2S; BaGerP2G   2/5  
Literaturwissenschaft / Bachelor (Enrollment until SoSe 2011) Nebenfach BaLitP4; BaLitP1; BaLitP2   2/4/6  

- Anforderungen für die regelmäßige und aktive Teilnahme (2 LP):
regelmäßige Teilnahme, Beteiligung am Seminargespräch und
knappe kritische Vorstellung einer theoretischen Position oder
eines literarischen Textes im Plenum
- Anforderungen an eine benotete Einzelleistung (5 LP bzw. 4 LP):
regelmäßige Teilnahme, Beteiligung am Seminargespräch und
Verfassen einer schriftlichen Hausarbeit im Umfang von 12 bis
15 Seiten. Alternativ könnte auch ein längeres Referat gehalten
werden, an das sich eine schriftliche Ausarbeitung (6 Seiten) an-
schließen würde.

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If the reference number is used for several courses in the course of the semester, use the following alternative address to reach the participants of exactly this: VST_19382768@ekvv.uni-bielefeld.de
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Friday, December 11, 2015 
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Friday, November 19, 2010 
Type(s) / SWS (hours per week per semester)
seminar (S) / 2
Department
Faculty of Linguistics and Literary Studies
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