220045 Zeitkonzeptionen in Geschichtstheorie und Geschichtsschreibung (GST) (SoSe 2019)

Die Geschichtswissenschaft fragt nach Wandel und Dauer, nach lang-, mittel- oder kurzfristigen Veränderungsprozessen, nach Verhältnissen von früher und später und hat damit grundlegend mit dem Phänomen Zeit zu tun. Doch was ist historische Zeit? Anders als die physikalisch definierte Zeit lassen sich geschichtliche Zusammenhänge nicht mit der Uhr messen, so Reinhart Koselleck in seinem berühmten Beitrag "Über die Theoriebedürftigkeit der Geschichtswissenschaft" aus dem Jahre 1972. Und doch definiert die Disziplin Einteilungen, mit denen sich historische Zeit von einer "Vor- und Frühgeschichte" bis zur "Neuzeit", einer "Zeitgeschichte" und einem "Posthistoire" oder einer "Spätmoderne" erstreckt. Die Zeit, mit der es Historiker*innen zu tun haben, ist eine sozial und kulturell geformte Kategorie, die sich in Metaphern ausdrückt, die Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungsrahmen setzt und selbst ebenso veränderlich ist wie sie als Faktor in historischen Prozessen wirkt. Die Erkenntnisinteressen, Kategorien, Begriffe und Methoden der Geschichtswissenschaft konstituieren Zeitverständnisse (und damit Machtverhältnisse) wesentlich mit.

In der Veranstaltung werden einschlägige Texte zu Zeitkonzeptionen in Geschichte und Geschichtswissenschaft gelesen und historische Darstellungen auf ihre Zeitkonstruktionen hin analysiert.

Literaturangaben

François Hartog, Regimes of Historicity. Presentism and Experiences of Time, New York 2015.
Stephen Kern, The Culture of Time and Space, 1880 – 1918, Cambridge/Mass. 2003.
Reinhart Koselleck, Zeitschichten. Studien zur Historik, Frankfurt am Main 2000.
Chris Lorenz/Berber Bevernage (Hg.), Breaking up Time. Negotiating the Borders between Present, Past and Future, Göttingen 2013.
Paul Ricoeur, Zeit und Erzählung, Bd. 1: Zeit und historische Erzählung, München 1988.
Walther Ch. Zimmerli/Mike Sandbothe (Hg.), Klassiker der modernen Zeitphilosophie, Darmstadt 1993.