220110 Justiz und Justiznutzung im Zarenreich (S) (SoSe 2023)

Das Seminar nimmt die historische Entwicklung von Institutionen, Räumen, Akteuren und Praktiken der Justiz und Justiznutzung vom 17. bis Anfang des 20. Jahrhunderts in den Blick. Diese longue durée Perspektive spiegelt die Vielfalt von gerichtlichen und außergerichtlichen Konfliktlösungen wider, die parallel, konkurrierend und symbiotisch zur Staats-, Imperiums- und Subjektbildung liefen. Im Zentrum der Lehrveranstaltung stehen folgende Fragen: Wie hat der Staat bzw. das Imperium die Gerichtsbarkeit und Verfahren der Konfliktlösung organisiert? Auf welche Art und Weise wurde das Imperium durch die Verschriftlichung von Normen und Rechten verwaltet? Wie wurde Justiz sowohl vom Staat als auch von unterschiedlichen Akteuren genutzt? Welche Rolle übernahmen Experten und Medien in der Formierung des Rechtsbewusstseins und der Mobilisierung von Öffentlichkeiten? Wie wurden Akteure, die lange Zeit in der Geschichtsschreibung marginalisiert wurden – Frauen, Kinder, „Andere“ – zu sichtbaren Rechtssubjekten? Wie forderten sie die existierende politische, soziale, moralische und religiöse Ordnung des russländischen Imperiums heraus? Und wie forcierten sie mit ihren Rechtshandlungen den Weg in die Moderne?

Literaturangaben

Jörg Baberowski, Autokratie und Justiz. Zum Verhältnis von Rechtsstaatlichkeit und Rückständigkeit im ausgehenden Zarenreich 1864-1914 (Frankfurt am Main: Vittorio Klostermann, 1996).

Jane Burbank, Russian Peasants Go to Court: Legal Culture in the Countryside, 1905-1917 (Bloomington: Indiana University Press, 2004).

Stefan Kirmse, The Lawful Empire: Legal Change and Cultural Diversity in Late Tsarist Russia (Cambridge: Cambridge University Press, 2019).

Gerd Schwerhoff, Historische Kriminalitätsforschung (Frankfurt am Main, New York: Campus, 2011).