300370 Die "Entjudung" der Wirtschaft als bürokratischer Prozess. Organisationssoziologische Studien zum Nationalsozialismus (LEH) (SoSe 2025)

Inhalt, Kommentar

Für die unvergleichlichen Verbrechen des Nationalsozialismus steht allem voran die millionenfache, systematisch vorbereitete und durchgeführte Ermordung der Juden und weiterer Verfolgter des Naziregimes. Folglich haben Forschung und Erinnerung sich zuallererst mit dem Holocaust als dem größten systematischen Verbrechen der Menschheitsgeschichte befasst. Erst später hat die Forschung begonnen, sich genauer auch mit den Formen der Vertreibung, Enteignung und Beraubung der jüdischen Opfer zu befassen, die den Deportation über Jahre vorausgingen. Beginnend mit der bürokratischen Erfassung des gesamten jüdischen Eigentums und fortgesetzt durch selektive Abgaben, erzwungene Unternehmens- und Grundstücksverkäufe, gesperrte Konten, perfide Versprechen gegen Geld (wie die "Heimeinkaufsverträge" für das Ghetto Theresienstadt) sowie die Enteignungen von jeglichem Besitz vor und nach den Deportationen wurden die jüdisch Verfolgten auf bürokratischem Wege systematisch in den "Finanztod" getrieben, bevor all jene, die nicht flehen konnten, dann Opfer der Shoa wurden.

Die Lehrforschung befasst sich entlang organisationssoziologischer Problemstellungen mit diesen, den Deportationen vorausgegangenen bürokratischen Prozessen der Entrechtung und Beraubung. Entstehen sollen in der Lehrforschung empirische Fallstudien zur Verwaltungspraxis im Nationalsozialismus ("Arisierung") bzw. auch der Nachkriegszeit ("Wiedergutmachung"). Ihre individuellen Fragestellungen werden gemeinsam erarbeitet. Der empirische Fokus soll sich dabei auf Unternehmen der Textil-/Bekleidungsbranche beziehen, in der es zahlreiche Fälle der rassistischen Verfolgung und der "Arisierung" gab, wobei die Forschung sich auf die mit diesen Unternehmen bzw. ihren Eigentümern befassten Verwaltungen konzentriert. In den Fokus kann die Verwaltungspraxis dabei in den Prozessen der "Arisierung" selbst oder in den Prozessen der "Wiedergutmachung" rücken, wobei es häufig die Wiedergutmachungsakten sind, über die sich die Prozesse der Arisierung erschließen lassen.

Akten liegen in Bielefeld (Stadtarchiv) und umfangreicher in Detmold (Landesarchiv) vor, sind also gut erreichbar. Der Fallfokus soll regional auf Bielefeld liegen (evtl. im Vergleich zu Herford, das ebenfalls stark in der Textil-/Bekleidungsindustrie vertreten war). Anders für als andere Städte und Regionen gibt es erstaunlicherweise zu Bielefeld noch kaum Studien zu den bürokratischen Prozessen der "Arisierung" und den Entschädigungs- und Wiedergutmachungsprozessen. Faktisch werden es weniger Organisationen als vielmehr deren Eigentümer bzw. Eigentümerfamlien sein, die in den Akten Gestalt annehmen. Als Organisationen treten dagegen eher die Verwaltungen mit ihrem Personal und ihren Entscheidungen hervor, und zwar sowohl in den Prozessen der "Arisierung" wie auch bei der "Wiedergutmachung". Hier schließen dann zahlreiche Fragen an ...

Das Vorgehen soll eine Kombination aus individueller Fallarbeit und -analyse und gemeinsamer Diskussion von Grundlagen, Fragestellungen, Methoden, Materialien, Einsichten, Thesen, Textentwürfen sein. Die individuellen und kollektiven Arbeitszeiten in der Lehrforschung werden diesen Bedarfen angepasst. Eine Einführung in die Aktenarbeit in den einschlägigen Archiven ist vorgesehen. Auch kann mit der VHS-Geschichtswerkstatt kooperiert werden, die sich derzeit mit der Textilindustrie in Bielefeld befasst.

Das Stadtarchiv Bielefeld betreibt im Übrigen eine Internetseite zur "Spurensuche" (www.spurensuche-bielefeld.de), die bereits Einblicke in Fälle geben kann. Auf dieser Internetseite können von allen Interessierten fallbezogene Ergebnisse von Recherchen als "Spuren" (sowie längere Beiträge in deren Anhang) publiziert werden. Auch die Bielefelder Seite "Stolpersteine" könnte, sofern Steine für entsprechende Personen schon vorhanden sind, Anknüpfungspunkte für die Internetpublikation von eigenen Beiträgen sein. Darüber hinaus kommen natürlich auch regionale, insb. regionalhistorische Zeitschriften in Frage.
Die entstehenden "Hausarbeiten" zur Lehrforschung könnten/sollten in diesem Sinne von vornherein als Texte für ein breiteres Publikum - und damit als soziologisch(!)-historische Beiträge zur Erinnerung - angelegt werden.

Mit der Lehrforschung von Thomas Hoebel (Endende Prozesse) ist eine lockere Kooperation für bestimmte Elemente beider Lehrforschungen vorbesprochen, etwa in Form einzelner Workshops. Die Lehrforschungen tagen für diese Möglichkeit zeitlich parallel. Weitere Absprachen dazu finden Anfang des Semesters statt.

Für weitere Informationen sorgen Sie bitte dafür, dass Sie über die Email-Adresse im ekvv regulär erreichbar sind.

Teilnahmevoraussetzungen, notwendige Vorkenntnisse

Teilnahmevoraussetzungen bestehen, jenseits der Bereitschaft zu regelmäßiger Teilnahme und Mitarbeit, also Beiträgen zum Kollektivgut eines solchen Projekts, nicht.

Literaturangaben

Ein "kleiner" Semesterapparat besteht bereits. Weitere Literatur sowie auch eine ausführliche Literaturliste finden Sie in Kürze im Lernraum der Lehrforschung.

Lehrende

Termine ( Kalendersicht )

Rhythmus Tag Uhrzeit Format / Ort Zeitraum  
wöchentlich Mi 14-18 X-B2-101 07.04.-18.07.2025

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Fachzuordnungen

Modul Veranstaltung Leistungen  
30-M-Soz-M15_LF2 Lehrforschung Rechts- und Regulierungssoziologie Alternativ zu Seminar 1 und Seminar 2: großes Seminar Studienleistung
Studieninformation
30-M-Soz-M6_LF2 Lehrforschung in Organisationssoziologie Alternativ zu Seminar 1 und Seminar 2: großes Seminar Studienleistung
Studieninformation

Die verbindlichen Modulbeschreibungen enthalten weitere Informationen, auch zu den "Leistungen" und ihren Anforderungen. Sind mehrere "Leistungsformen" möglich, entscheiden die jeweiligen Lehrenden darüber.


Am Ende des zweiten Lefosemesters (also im Frühjahr 2026) werden Sie den Forschungsbericht zu einem von Ihnen untersuchten Fall verschriftlicht haben, dessen zentrale Ergebnisse zugleich publikationsreif im oben genannten Sinne sind.

Lernraum (E-Learning)
Lernraum (E-Learning)
Adresse:
SS2025_300370@ekvv.uni-bielefeld.de
Lehrende, ihre Sekretariate sowie für die Pflege der Veranstaltungsdaten zuständige Personen können über diese Adresse E-Mails an die Veranstaltungsteilnehmer*innen verschicken. WICHTIG: Sie müssen verschickte E-Mails jeweils freischalten. Warten Sie die Freischaltungs-E-Mail ab und folgen Sie den darin enthaltenen Hinweisen.
Falls die Belegnummer mehrfach im Semester verwendet wird können Sie die folgende alternative Verteileradresse nutzen, um die Teilnehmer*innen genau dieser Veranstaltung zu erreichen: VST_445477700@ekvv.uni-bielefeld.de
Hinweise:
Weitere Hinweise zu den E-Mailverteilern
Letzte Änderung Grunddaten/Lehrende:
Mittwoch, 23. April 2025 
Letzte Änderung Zeiten:
Mittwoch, 5. Februar 2025 
Letzte Änderung Räume:
Mittwoch, 5. Februar 2025 
Art(en) / SWS
Lehrforschung (LEH) / 4
Einrichtung
Fakultät für Soziologie
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