Softwareagenten und andere Phänomene künstlicher Intelligenz (KI) tauchen seit einiger Zeit vermehrt in der Rechtspraxis, in Anwaltskanzleien, Gerichten und Verwaltungen auf. Wir beobachten ein breites Spektrum von Fällen, die von einfachen Algorithmen über big data, künstliche Intelligenz und lernende Software bis hin zu autonomen Softwareagenten reichen.
Man kann hierbei drei Ebenen von KI im Recht unterscheiden:
1. verwaltungs-vereinfachende und assistierende Techniken, also Legal Tech im weitesten Sinne, etwa Anwaltssoftware, die den Praxisbetrieb unterstützt,
2. Expertensysteme wie z.B. myright.de, welche die Rechtsberatung unterstützen oder bereits zum Teil selbst automatisierte Beratungsleistungen übernehmen und anwaltliche Tätigkeiten langfristig ersetzen könnten; ebenso Programme, die etwa bei Bewährungsentscheidungen an Hand von automatisierten Rückfallprognosen eingesetzt werden (COMPAS, PSA u.ä.) und damit die Funktion des klassischen Sachverständigen bzw. Gutachters übernehmen, etwa bei der Produktion von Prognosen über Rückfallwahrscheinlichkeiten bei Verurteilten,
3. Algorithmen, die selbst rechtlich relevanten Entscheidungen fällen könnten; die empirischen Fälle umfassen etwa speed trading, smart contracts und neuerdings unter Umständen auch digitale Rechtsprechung (robot judges); jedenfalls findet man solche Erwartungen in der Literatur, etwa mit Blick auf "virtuelle Gerichte" in China oder den von der Regierung in Estland in Auftrag gegebenen Robot Judge, der sich ausdrücklich auf eine breite Palette von Gerichtszweigen erstrecken soll.
Vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen stellen sich Fragen insbesondere auch für die allgemeine Soziologie und die Rechtssoziologie: Wie sind Kommunikationen mit Softwareagenten konzeptionell zu fassen? Ändern sich theoretische Vorstellungen von Person, Verantwortlichkeit, Adressierbarkeit und verwandten Begriffen mit den technischen Entwicklungen? Welche Konsequenzen ergeben sich für die Erzeugung generalisierter Abnahmebereitschaft durch Gerichtsverfahren? Haften Algorithmen für Schäden, die sie verursachen?
In der Lehrforschung werden wir in einem ersten, knappen Teil einige dieser theoretischen Fragen diskutieren, um auf dieser Basis dann in einem ausgedehnteren zweiten Teil empirische Fälle zu suchen und Daten zu sammeln. Im dritten Teil entwickeln wir Konzepte, mit denen Theorie und Material zu einer Fragestellung verbunden werden, die im vierten Teil methodisch bearbeitet wird. Im abschließenden fünften Teil (vorwiegend dann in der vorlesungsfreien Zeit im Sommer) wird der Lehrforschungsbericht geschrieben.
Den theoretischen Rahmen bilden unter anderem die Kommunikationstheorie und die soziologische Systemtheorie; linguistische Konzepte spielen eine gewisse Rolle und in methodischer Hinsicht kommen Verfahren der Deutungsmusteranalyse, konversationsanalytisch orientierter Hermeneutik, aber auch einfach Inhaltsanalysen in Betracht. Damit sind freilich abweichende Forschungsstrategien der Studierenden keineswegs ausgeschlossen.
Von Vorteil, aber nicht notwendig, sind Vorkenntnisse in Rechtssoziologie und soziologischer Theorie sowie Methoden der qualitativen Sozialforschung. Vorausgesetzt wird ein Interesse an Phänomenen der Künstlichen Intelligenz und deren soziologischer Analyse im Zusammenhang mit rechtlichen Entscheidungsprozessen.
Bora Alfons. Vanishing points. Responsibility as a normative shifting symbol and the search for social addressability. Soziale Systeme. 2016, 19 (2):456-469.
Bora, Alfons. Kommunikationsaddressen als digitale Rechtssubkjekte. Kommentar zu Gunther Teubner: Digitale Rechtssubjekte? Haftung für das Handeln autonomer Softwareagenten. verfassungsblog.de URL: https://verfassungsblog.de/category/debates/digitale-rechtssubjekte/ (zuletzt aufgerufen 12.11.2019)
Esposito, Elena. Artificial Communication?The Production of Contingency by Algorithms. Zeitschrift für Soziologie 2017; 46(4): 249–265
Muhle, Florian. Sozialität von und mit Robotern? Drei soziologische Antworten und eine kommunikationstheoretische Alternative. Zeitschrift für Soziologie. 2018;47(3):147-163.
Teubner, Gunther. Digitale Rechtssubjekte? Zum privatrechtlichen Status autonomer Softwareagenten - Digital Personhood? The Status of Autonomous Software Agents in Private Law. In: Ancilla Iuris 2018 URL: https://www.anci.ch/articles/502 (zuletzt aufgerufen 12.11.2019)
Rhythmus | Tag | Uhrzeit | Format / Ort | Zeitraum |
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Modul | Veranstaltung | Leistungen | |
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30-M-Soz-M15_LF1 Lehrforschung Rechts- und Regulierungssoziologie | Alternativ zu Seminar 1 und Seminar 2: großes Seminar | Studienleistung
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30-M-Soz-M2_LF1 Lehrforschung in Soziologischer Theorie | Alternativ zu Seminar 1 und Seminar 2: großes Seminar | Studienleistung
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Studieninformation |
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Die verbindlichen Modulbeschreibungen enthalten weitere Informationen, auch zu den "Leistungen" und ihren Anforderungen. Sind mehrere "Leistungsformen" möglich, entscheiden die jeweiligen Lehrenden darüber.
Es handelt sich um eine einsemestrige Lehrforschung. Sie endet mit einem Lehrforschungsbericht, der spätestens bis zum Ende des Semesters, also am 30.09.2020 abzugeben ist. Die Studierenden sollen nach Möglichkeit in Gruppen arbeiten.