300832 Sexistischer Antirassismus und rassistischer Antisexismus - eine feministische Herausforderung (S) (SoSe 2022)

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Bis heute wird ein feministischer Streit um die Deutung der Kölner Silvesternacht 2015/2016 ausgetragen. Feministinnen wie Alice Schwarzer sahen sich in ihrer Warnung bestätigt, dass mit der Aufnahme vieler geflüchteter Menschen aus islamisch geprägten Staaten auch patriarchale Verhaltensmuster, frauenfeindliche Einstellungen und sexistische Gewalt importiert würden. Antirassistische Gruppierungen und rassismuskritische Feminist*innen hielten dem entgegen, das Sexismus auch in der Mehrheitsgesellschaft weit verbreitet sei, dass das Fehlverhalten einzelner Migranten und Geflüchteter nichts mit ihrer Herkunftskultur zu tun habe und durch die Ethnisierung der Täter Sexismus kulturalisiert und Rassismus reproduziert würde.

Die Positionen des sexistischen Antirassismus und die des rassistischen Antisexismus übersehen aber die komplexen Wechselwirkungen zwischen Normen, Deutungsmustern und Praktiken, die kultur-, klassen- und geschlechtsspezifisch vermittelt, erlernt und tradiert werden und der Ausbildung eigener Überzeugungen und Handlungsoptionen, die kulturelle, soziale und geschlechtliche Bindungen auch überschreiten und transformieren können. Während die einen die identitäts- und subjektkonstituierende Macht normativer Geschlechterordnungen innerhalb einer Herkunftskultur ausblenden und einen möglichen Zusammenhang zwischen individuellen Verhalten, patriarchalen Herrschaftsverhältnissen und sozio-kulturellen Sozialisationsprozessen gar nicht erst in Erwägung ziehen, dramatisieren die anderen kulturelle Differenzen und wollen die Menschen auf ihren kulturellen Hintergrund festlegen, so als ob Menschen nicht vielfältigen Einflussfaktoren ausgesetzt wären, ihre kulturellen Prägungen nicht kritisch reflektieren und ihre Einstellungen nicht revidieren könnten.

In dieser Gemengelage aus einer Überbewertung und einer Ausblendung kultureller Faktoren befinden sich Feminist*innen in einem Dilemma. Kritisieren sie sexistische Praktiken und patriarchale Verhaltensmuster von Angehörigen einer kulturellen Minderheit, laufen sie Gefahr des Rassismus und der Ethnisierung sexueller Gewalt bezichtigt zu werden. Verschweigen sie mögliche kulturspezifische Konnotation dieser Praktiken und Verhaltensmuster, kann ihnen paternalistische Identitätspolitik, Relativierung und Verharmlosung sexueller Gewalt vorgeworfen werden.

Beide Vorwürfe haben zwar teils ihre Berechtigung, verfehlen aber gleichwohl die eigentliche feministische Herausforderung. Anstatt jegliche Kritik an den Geschlechterverhältnissen der „Anderen“ vorschnell und einseitig als bloßen Ethnosexismus zu diskreditieren oder Kulturen zu homogenisieren und pauschal als frauenfeindlich und rückständig zu diffamieren, müsste eine feministische Intervention aufzeigen, wie die Geschlechterbeziehungen in den jeweiligen Mehrheits- und Minderheitskulturen auf unterschiedliche Weise patriarchale und rassistische Systeme stabilisieren. Dabei wäre es wichtig zu berücksichtigen, das Normen und Praktiken auch innerhalb kultureller Gruppen umstritten sind, sich Kulturen dynamisch entwickeln und keine festen Grenzen haben und Gemeinsamkeiten auch zwischen Kulturen existieren. Auf Grundlage eines dynamisch-offenen Kulturverständnis könnte sich so ein transkultureller Feminismus entwickelt, der in der Lage ist, kulturübergreifend nach Maßstäben für eine Kritik patriarchaler Macht- und Gewaltmuster sowohl innerhalb der Dominanzkultur als auch innerhalb von kulturellen und religiösen Minderheiten zu suchen. Unbenommen der Relevanz transkulturelle Normen zu finden wird die Antwort auf die Frage, was in einer Gesellschaft akzeptabel ist und was nicht, gleichwohl nicht kontextfrei beantwortet werden können.

Wir wollen in diesem Seminar versuchen einen solchen „dritten“ Weg jenseits rassistischer Kulturkonzepte und der Dethematisierung kultureller Gewalt in marginalisierten Gruppen zu gehen und verschiedene Konzepte eines transkulturellen Feminismus diskutieren. Dabei werden uns auch die Kipppunkte der Emanzipation interessieren, also die Frage wann Kritik an sozio-kulturellen Praktiken wie Zwangsverheiratung, weibliche Genitalverletzungen oder „ehrenbasierter Gewalt“ in Rassismus und die Reproduktion kolonialer Stereotype umschlägt und wann aus der Angst vor einer rassistischen Instrumentalisierung der Geschlechterfrage feministische Positionen geräumt und die Stimmen der Opfer sexistischer Gewalt zum Schweigen gebracht werden.

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Wird im Seminar bekannt gegeben.

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not on: 5/26/22 / 6/16/22

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E3: Einführende Veranstaltung aus den Fakultäten Student information
25-FS-GM Grundlagenmodul E2: Einführende Veranstaltung aus den Fakultäten Student information
E3: Einführende Veranstaltung aus den Fakultäten Student information
25-IR Interkulturalität reflexiv Bereich 2: Handlungsfelder in Wissenschaft und Praxis Study requirement
Student information
- Ungraded examination Student information
30-M26 Fachmodul Geschlechterforschung und Geschlechterverhältnisse Einführung (Seminar 1) Study requirement
Student information
Vertiefung (Seminar 2) Study requirement
Student information
- Graded examination Student information
30-MGS-4 Hauptmodul 3: Arbeit und gesellschaftliche Transformationen Seminar 1 Study requirement
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Seminar 2 Study requirement
Graded examination
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Geschlechterforschung in der Lehre    

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Faculty of Sociology
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