Romane kreisen um das Leben und den Werdegang einzelner Figuren. Dies gilt auch für Fälle, in denen epische Schlachten (Homers Ilias) oder soziokulturelle Querschnitte narrativ entworfen werden (wie in Alfred Döblins Berlin Alexanderplatz). Um die Struktur und Organisiertheit eines Textes zu erfassen, greifen Literaturwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler gerne auf bewährte wie basale Unterscheidungskriterien zurück: man spricht von Protagonisten (wörtlich: den ersten Kämpfern auf dem Theater) und unterscheidet diese Vorkämpfer, sprich Hauptfiguren, von etwaigen Antagonisten und insbesondere von anderen Nebenfiguren.
Das gilt auch für mittelalterliche Texte. Mit ihrer Wiederentdeckung im frühen 19. Jahrhundert wurde ein Fokus auf männliche Hauptfiguren zementiert und mit ihm ein romantisch-verklärtes Mittelalterbild, das in Teilen bis heute wirkt. Obwohl mittelalterliche Handschriften in der Regel keine Werktitel kennen, wird seit der Zeit der germanistischen Gründungsväter meist von den Artusromanen Erec und Iwein oder vom Tristan gesprochen (die neue Kritische Edition von Tomas Tomasek betitelt das Werk endlich (wieder) mit Tristan und Isolde).
Dieser historisch gewachsene, einseitige Fokus kann dem Zugang zum Verständnis der Werke und ihrer Strukturen im Weg stehen. Da mittelalterliche Romane für unser heutiges Leseempfinden sehr handlungsorientiert sind und immer wieder neue Stationen mit wechselndem Figurenpersonal durchspielen, greift die Unterscheidung zwischen Haupt- und Nebenfiguren zu kurz. Wir werden im Seminar stattdessen dynamische Figurenkonstellationen untersuchen und dabei versuchen, ihre handlungskonstitutiven Funktionen herauszuarbeiten. Im Zentrum wird dabei die ‚Dreiecksbeziehung‘ stehen, die – so die These des Seminars – sowohl das religiöse als auch das weltliche Erzählen im Mittelalter maßgeblich bestimmt.
Im ersten Themenblock beschäftigen wir uns mit dem sogenannten legendarischen Erzählen (Heiligenlegenden) und dem in der Spätantike entwickelten Erzählmodell des love triangle, einem konfliktreichen Beziehungsgeflecht zwischen einer Braut und ihren beiden konkurrierenden Liebhabern. In diesem Zusammenhang werden wir uns verschiedene spätantike und mittelalterliche Passionen (Märtyrerlegenden) in Auszügen erarbeiten. Dabei wird es um verschiedene, nicht zuletzt religiöse Liebeskonzepte und die literarische Arbeit an verschiedenen Beziehungsmodellen und Lebensentwürfen gehen.
Im zweiten Themenblock setzen wir uns mit dem berühmtesten mittelalterlichen Liebesroman auseinander: mit Gottfrieds Tristan und Isolde (um 1210). Von besonderem Interesse ist hier die Frage, ob und wie die an und für sich illegitime Liebesbeziehungen zwischen Tristan und Isolde (eine Ehebruchsliebe) in stetig variierten Dreieckskonstellationen legitimiert und als überlegen ausgestellt wird.
Im dritten Themenblock werden wir schließlich das berühmteste Heldenepos des Mittelalters untersuchen: das um 1200 entstandene Nibelungenlied. Auch hier spielen Dreiecksbeziehungen eine wesentliche Rolle, wie bei Tristan und Isolde geht es auch in den Episoden um Brünhild, Gunther und Siegfried (um nur eine Konstellation zu nennen) um List, Betrug, Verrat – und um die literarische Arbeit an Beziehungs- und Lebensentwürfen.
Wir werden den Themenkomplex der Dreiecksbeziehungen in der wöchentlichen Arbeit an den Texten erproben und auf der Basis neuerer und neuester Forschung entwickeln. Dazu benötigen Sie die Bereitschaft, die Texte vorzubereiten (Lesepensum), im Unterricht aktiv mitzudenken und gemeinsam zu diskutieren. Sie haben die Möglichkeit, eigene Themenschwerpunkte einzubringen und so zur Gestaltung des Seminares beizutragen.
Die Anschaffung (oder Leihe) folgender Bücher ist obligatorisch:
• Gottfried von Straßburg: Tristan. Mittelhochdeutsch / Neuhochdeutsch. Nach dem Text von Friedrich Ranke neu herausgegeben, ins Neuhochdeutsche übersetzt, mit einem Stellenkommentar und einem Nachwort versehen von Rüdiger Krohn. Band 1 und 2. Ditzingen 2019. (Band 3 = Kommentar kann erworben werden; alle 3 Bände sind im Paket erhältlich).
• Das Nibelungenlied. Mittelhochdeutsch / Neuhochdeutsch. Nach der Handschrift B herausgegeben von Ursula Schulze. Ins Neuhochdeutsche übersetzt und kommentiert von Siegfried Grosse. Stuttgart 2011.
• Alle weiteren Texte werden als PDF zur Verfügung gestellt.
Rhythmus | Tag | Uhrzeit | Format / Ort | Zeitraum | |
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wöchentlich | Di | 12-14 | X-B3-117 | 07.04.-18.07.2025 |
Modul | Veranstaltung | Leistungen | |
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23-GER-PAdSL Ältere deutsche Sprache und Literatur | Mediävistisches Seminar | Studienleistung
benotete Prüfungsleistung |
Studieninformation |
Die verbindlichen Modulbeschreibungen enthalten weitere Informationen, auch zu den "Leistungen" und ihren Anforderungen. Sind mehrere "Leistungsformen" möglich, entscheiden die jeweiligen Lehrenden darüber.
Studiengang/-angebot | Gültigkeit | Variante | Untergliederung | Status | Sem. | LP | |
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