Ein Korn macht keinen Haufen, 1000 Körner tun dies sehr wohl. Aber bei welcher Kornanzahl liegt die Grenze? Das steht einfach nicht fest, so möchte man sagen, der Ausdruck „Haufen“ hat eben keine scharfe Begrenzung, er ist vage. Damit ist er nicht allein. Vagheit ist in unsere Sprache allgegenwärtig. Wie es scheint haben die die allermeisten unserer Ausdrücke keine scharfen Grenzen, sondern fasern in eine Grauzone aus Grenzfällen aus.
Für Philosoph:innen ist das Phänomen der Vagheit aus mindestens drei Gründen spannend.
Erstens: Vagheit führt zu „Sorites Paradox“. Folgendes ist offenkundig wahr: „(1) Jemand mit einem Haar ist kahl“. Für das Zutreffen des vagen Ausdrucks „kahl“ macht ein einziges Haar mehr oder weniger aber keinen Unterschied, sonst müsste der Ausdruck ja eine scharfe Grenze haben. Also gilt: „(2) Wenn jemand mit n Haaren kahl ist, dann gilt dies auch für jemand mit n+1 Haaren“. Durch mehrfache Anwendung dieses Prinzips können wir aber aus den Wahrheiten (1) und (2) die klare Falschheit „(3) Jemand mit 150.000 Haaren ist kahl“ folgern und landen damit im Paradox.
Zweitens: Vagheit widerspricht Standardannahmen in Logik und Sprachphilosophie. Dem Satz vom ausgeschlossenen Dritten zufolge ist jeder Gegenstand a entweder F oder nicht-F. Für Grenzfälle vager Prädikate gilt das aber gerade nicht; man denke nur an eine Person, bei der aufgrund ihres Haupthaares eben nicht feststeht, ob sie als „kahl“ gelten kann oder nicht. Laut Sprachphilosophie ist die Extension des Ausdrucks „Frosch“ die Menge aller Dinge, auf die der Ausdruck zutrifft. Mengen sind aber eindeutig durch ihre Mitglieder bestimmt. Nun ist „Frosch“ ein vager Ausdruck. Für bestimmte Folgestadien von Kaulquappen steht nicht fest, ob sie (schon) unter den Ausdruck „Frosch“ fallen oder (noch) nicht. Damit gibt es gar keine Menge von Dingen, auf die „Frosch“ zutrifft.
Drittens: Der Ursprung von Vagheit liegt im Dunkeln. Warum aber sind so viele unserer Ausdrücke vage? Woher kommt das? Auf diese Frage gibt es keine offensichtliche Antwort. Man könnte denken, dies liegt an unserer Nachlässigkeit: „Frosch“ hat keine scharfe Grenze, weil niemand sie je festgelegt hat. Man könnte auch denken, diese liege an der Welt: „Frosch“ hat keine scharfe Grenze, weil Frösche und Kaulquappen in der Welt nicht klar voneinander abgegrenzt sind.
Im Seminar wollen wir klassische und neuere Texte zum Thema der Vagheit lesen und diskutieren. Wir wollen Grundfragen im Zusammenhang mit Vagheit erarbeiten und diskutieren. Insbesondere wollen wir verstehen, (a) was Vagheit von anderen Phänomenen wie Mehrdeutigkeit, Allgemeinheit und Kontextabhängigkeit unterscheidet, (b) was Vagheit eigentlich ausmacht, (c) was sich an Logik und Sprachphilosophie ändern muss, wenn wir es mit einer vagen Sprache zu tun haben und (d) ob Vagheit eigentlich eine sprachliches oder ein metaphysisches Phänomen ist. Schließlich (e) wollen wir überlegen, was die Vorzüge einer Sprache sind, die wie die unsrige eben nicht durchweg präzise Grenzen hat, sondern Vagheit zulässt.
Es gibt keine besonderen Voraussetzungen. Interesse an der Sache und ein wenig Hintergrundwissen in der Sprachphilosophie wären hilfreich. Interessierte BA-Studierende können gerne teilnehmen.
Zur Einführung ins Thema seien der Artikel von Nikola Kompa und das Kapitel von Rosanna Keefe wärmstens empfohlen.
1. Kompa, Nikola 2015: Vagheit, in: Nikola Kompa (Hrsg.) 2015: Handbuch Sprachphilosophie, Stuttgart: Metzler, 361-371
2. Keefe, Rosanna 2000: Theories of Vagueness, Ch. 1: The phenomena of vagueness, Cambridge: Cambridge University Press, 3-36.
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Die verbindlichen Modulbeschreibungen enthalten weitere Informationen, auch zu den "Leistungen" und ihren Anforderungen. Sind mehrere "Leistungsformen" möglich, entscheiden die jeweiligen Lehrenden darüber.