Mit den beiden Stichworten ‚Hunger’ und ‚Überfluss’ wird in der Forschung auf epochale Charakteristika der Ernährung in Europa aufmerksam gemacht, die für die Mehrheit der Bevölkerung relevant waren. So war für die meisten Menschen in weiten Teilen Mitteleuropas Hunger eine selbstverständliche Erfahrung in der Vormoderne, mit der sie wiederholt und Zeit ihres Lebens konfrontiert wurden. Diese existentielle Herausforderung trat seit der zweiten Hälfte des 19. Jhs. in Mitteleuropa immer seltener auf, und wenn dann zumeist – wie etwa 1917 und zu Beginn der 1940er Jahre – unter extremen Bedingungen des Krieges. Daher wird es geradezu als ein Kennzeichen der Moderne angesehen, wenn die Versorgung der Bevölkerung zumindest mit Grundnahrungsmitteln unter den beiden Bedingungen gewährleistet ist, dass, erstens, Lebensmittel auf lokalen Märkten jederzeit zur Verfügung stehen und erworben werden können, und dass, zweitens, die Mehrheit der Bevölkerung über genügend Kaufkraft verfügt, um die benötigten Produkte kaufen zu können. Insofern diese beiden Bedingungen erfüllt sind, wird in der Forschung auch vom Beginn der Konsumgesellschaft gesprochen, in der – im Unterschied zur Vormoderne – nunmehr für die meisten die Erfahrung des Überflusses vorherrschend wurde. Mit der Hypothese, dass die Anfänge solchermaßen von Marktmechanismen gesteuerten Konsumgesellschaften bereits in den Niederlanden des 17. Jhs. und vor allem dann im England des 18. Jhs. verortet werden können, setzte die Konsumgeschichte als neuer Zweig der Geschichtswissenschaft zu Beginn der 1980er Jahre ein erstes Ausrufezeichen (N. McKendrick, J. Brewer, J.H. Plumb, 1982).
Der thematische Schwerpunkt des Seminars wird zum einen auf Ernährungsbedingungen, zum anderen auf Konstellationen eines entstehenden Konsumverhaltens gegenüber Lebensmitteln in der Vormoderne liegen, um eine pragmatische Auswahl aus dem weiten und immer weiter expandierenden Themenspektrum der Konsumgeschichte zu treffen. Dass Phänomene des Hungers und auch des Überflusses in der Vormoderne bereits in der älteren Annales-Schule thematisiert worden sind, lässt sich beispielsweise dem fulminanten Überblick Fernand Braudels 'Die Geschichte der Zivilisation' von 1967 (frz.) bzw. 1971 (dt.) und auch einigen deutschsprachigen Werken der Sozial- und Wirtschaftsgeschichte der 1960er und 1970er Jahre entnehmen, wofür die Untersuchung Ulf Dirlmeiers von 1978 exemplarisch steht; diese Darstellungen werden im Seminar auszugsweise besprochen.
Literatur in Auswahl:
Wilhelm Abel, Massenarmut und Hungerkrisen im vorindustriellen Europa. Versuch einer Synopsis, Hamburg / Berlin 1974; ders., Stufen der Ernährung. Eine historische Skizze, Göttingen 1981; Fernand Braudel, Die Geschichte der Zivilisation. 15. bis 18. Jahrhundert, Mün-chen 1971; Ulf Dirlmeier, Untersuchungen zu Einkommensverhältnissen und Lebenshaltungskosten in oberdeutschen Städten des Spätmittelalters, Heidelberg 1978; Ulf Dirlmeier / Gerhard Fouquet, Ernährung und Konsumgewohnheiten im spätmittelalterlichen Deutschland, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 44 (1993), S. 504-526; Heinz-Gerhard Haupt, Konsum und Handel. Europa im 19. und 20. Jahrhundert, Göttingen 2003; Neil McKendrick / John Brewer / John H. Plumb, The birth of a consumer society: the commercialization of eighteenth-century England, London 1982; Detlev Kraack / Klaus-Joachim Lorenzen-Schmidt (Hrsg.), Essen und Trinken. Zur Ernährungsgeschichte Schleswig-Holsteins, Neumünster 2010; Massimo Livi-Bacci, Europa und seine Menschen. Eine Bevölkerungsgeschichte, München 1999; Massimo Montanari, Der Hunger und der Überfluss. Kulturgeschichte der Ernährung in Europa, München 1993; Michael Prinz (Hrsg.), Der lange Weg in den Überfluss. Anfänge und Entwicklung seit der Vormoderne, Paderborn / München / Wien / Zürich 2003; Ernst Schubert, Essen und Trinken im Mittelalter, Darmstadt 2010; Hannes Siegrist / Hartmut Kaelble / Jürgen Kocka (Hrsg.), Europäische Konsumgeschichte. Zur Gesellschafts- und Kul-turgeschichte des Konsums (18. bis 20. Jahrhundert), Frankfurt, Main / New York 1997; Margit Szöllösi-Janze, Notdurft – Bedürfnis. Historische Dimension eines Begriffswandels, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 48 (1997), S. 653-707.
Rhythmus | Tag | Uhrzeit | Format / Ort | Zeitraum |
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Modul | Veranstaltung | Leistungen | |
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22-3.1 Hauptmodul Vormoderne
3.1.10 |
Seminar Vormoderne | Studienleistung
benotete Prüfungsleistung |
Studieninformation |
22-3.8 Wahlfreies Hauptmodul
3.1.10 |
Seminar | Studienleistung
benotete Prüfungsleistung |
Studieninformation |
25-FS-EM Einführungsmodul | E2: Einführende Veranstaltung aus den Fakultäten | Studieninformation | |
E3: Einführende Veranstaltung aus den Fakultäten | Studieninformation | ||
25-FS-GM Grundlagenmodul | E2: Einführende Veranstaltung aus den Fakultäten | Studieninformation | |
E3: Einführende Veranstaltung aus den Fakultäten | Studieninformation |
Die verbindlichen Modulbeschreibungen enthalten weitere Informationen, auch zu den "Leistungen" und ihren Anforderungen. Sind mehrere "Leistungsformen" möglich, entscheiden die jeweiligen Lehrenden darüber.
Studiengang/-angebot | Gültigkeit | Variante | Untergliederung | Status | Sem. | LP | |
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Studieren ab 50 |
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