Durch die Napoleonischen Kriege verdichteten sich Konfrontation und Begegnung Rußlands mit "dem Westen" in zuvor ungekanntem Maße. Das setzte sich in der Folge in Form von langen Auslandsaufenthalten vieler russischer Intellektueller fort, die häufig aus dem Adel, aber auch aus anderen gesellschaftlichen Schichten kamen Die vielfältigen internationalen Vernetzungen machten die Bestrebung nach gesellschaftlicher Veränderung besonders akut. Ob man im Einzelnen nun auf Nachahmung oder Abgrenzung setzte, die Orientierung an westlichen Modellen war bei den Eliten allgegenwärtig. So wurden die Dekabristen mit ihrem (kläglich gescheiterten) Umsturzversuch von 1825 im Rückblick als Väter der russischen revolutionären Bewegung gefeiert, die sich, in Generationen fortschreitend, "gesetzmäßig" bis zu Lenin und der Oktoberrevolution entfaltet habe.
Doch nicht nur intellektuelle Entwicklung faßte man in Generationen, auch Polarisierungen verstand man in Generationenkonflikten. In Turgenews "Väter und Söhne" (1861, eigentlich "Väter und Kinder"!), Tschnyschewskis "Was tun?" (1863), Dostojewskis "Böse Geister" und vielen anderen Romanen, publizistischen, philosophischen u.a. Schriften stehen diese Konflikte im Zentrum, die in der Reformzeit der 1860er Jahre wohl am offensten ausgetragen werden konnten. Alle wollten "das Volk" vom Zarismus befreien, doch die konkreten Begegnungen mit den Bauern führten ihnen mehr oder weniger schmerzhaft vor Augen, wie wenig Ahnung sie von den Bedürfnissen und Nöten der breiten bäuerlichen Bevölkerung hatten, als deren Fürsprecher sie sich verstanden. Während viele sich einem revolutionären Atheismus verschrieben hatten und im Zarismus nur noch einen Hemmschuh für jegliche Entwicklung des Landes sahen, mußten sie immer wieder feststellen, daß bei den Bauern die lichten Bilder von Zar und Kirche fortlebten – zumindest bis zum Massaker des Blutsonntags, der die 1905er Revolution einläutete.
Im Seminar werden die Debatten zwischen Slawophilen und Westlern, Liberalen und Konservativen, Reformern und Revolutionären, Marxisten und Anarchisten, etc., beleuchtet, die mehrheitlich auf Veränderung (und vielfach auf radikale) abzielten – und das vor dem doppelten Hintergrund der diskursiven Verflechtungen mit dem Ausland und der konkreten sozialen (und politischen) Entwicklung Rußlands.
Literatur zur Einführung:
Handbuch der Geschichte Rußlands, Bd. 2 und 3. Hrg. Manfred Hellmann. Hiersemann, Stuttgart 1981-2004.
Rhythmus | Tag | Uhrzeit | Format / Ort | Zeitraum | |
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wöchentlich | Mi | 16-18 | S4-200 | 04.04.-15.07.2011 |
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Studiengang/-angebot | Gültigkeit | Variante | Untergliederung | Status | Sem. | LP | |
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Geschichtswissenschaft / Bachelor | (Einschreibung bis SoSe 2011) | Kern- und Nebenfach | 3.2.9 | Wahlpflicht | 3. 4. 5. 6. | 8 | scheinfähig |
Geschichtswissenschaft (Gym/Ge) / Master of Education | (Einschreibung bis SoSe 2014) | 3.2.9 | Wahlpflicht | 3. 4. | 8 | scheinfähig |