Die kulturelle Einbettung von Menschen hat eine paradoxe Struktur. Einerseits sind kulturelle Bezugssysteme die Voraussetzung für die Handlungs-, Anerkennungs- und Verortungsfähigkeit des Subjekts. Andererseits ist in ihr ein Zwang zur Anpassung und in regiden Formen auch zur Unterwerfung enthalten, der die Entwicklungsmöglichkeiten des Individuums einschränken und blockieren kann. Im Rahmen eines emanzipatorischen Erziehungs- und Bildungsverständnis sollte der Zwangscharakter, der normativen Ordnungen, Glaubenssystemen und kulturellen Lebensformen eigen ist, immer auch Gegenstand einer kritischen Überprüfung sein.
In der zunehmend von rechtspopulistischen und völkisch-autoritären Positionen vereinnahmten Debatte um die Bedeutung von Nation, Kultur und ethnischer Herkunft wird jedoch die Kritik an Lebensformen von als anders markierten religiösen und kulturellen Gemeinschaften und Minderheiten zu einem heiklen Unterfangen. Dürfen Personen aus der weißen Mehrheitsgesellschaft kulturelle Praxen und Normensysteme der Anderen in Frage stellen, indem sie z.B. Praktiken wie die weibliche Genitalverstümmelung, Zwangsheiraten oder patriarchale Familienstrukturen kritisieren? Und dürfen sie dabei ihre eigenen Bewertungsmaßstäbe zugrunde legen und Deutungsmuster anwenden, die in der betroffenen Gemeinschaft möglicherweise gar nicht gelten?
Die Frage, welche Normen und Werte in Gemeinschaften gelten sollten, kann unter ihren Mitgliedern aber auch strittig sein. Zudem verlaufen normative Ordnungen auch jenseits religiöser, kultureller und ethnischer Grenzziehungen. Gegenwärtig sind besonders Normenkonflikte zwischen geschlossenen und offenen Identitäts- und Lebensentwürfen zu beobachten. Konfliktiv sind dabei weniger die unterschiedlichen religiösen, ethnischen und kulturellen Zugehörigkeiten, sondern die Art und Weise wie sie verstanden, gedeutet und gelebt werden. Begreifen die Individuen ihre kulturellen Lebensformen als veränder- und verhandelbar oder sind diese für sie absolut, statisch und durch die Tradition festgelegt?
In diesem Seminar soll es um die Einschätzung, Anerkennung und Kritik von Lebensweisen, Religionen und normativen Ordnungen in einer von Migration und Pluralisierung geprägten Gesellschaft gehen. Gerade die Migrationspädagogik ist ein Ort, an dem die Akzeptanz und Zurückweisung von Identitätsentwürfen, Glaubensvorstellungen und kulturellen Deutungsmustern verhandelt wird.
Wie aber kann Kritik von kulturellen Lebensformen, Wertvorstellungen und Religionen vorgehen ohne zu verletzen, abzuwerten und paternalistisch zu agieren? Als Instrument für eine kritische Auseinandersetzung mit Vorstellungen des guten Lebens soll dafür das Modell der immanenten Kritik genutzt werden. Interne Kritik muss sich mit den vorhandenen Normen der Gemeinschaft begnügen und hat daher ein Begrenzungsproblem. Externe Kritik wiederum legt äußere Bewertungsmaßstäbe an eine Gemeinschaft an und handelt sich dadurch ein Legitimitätsproblem ein. Immanente Kritik unterläuft hingegen diese binären Kritikformen. Sie zeigt auf, wie sich aus der Realisierung von in der Gemeinschaft anerkannter Normen Probleme, Widersprüche und Effekte ergeben, die diese Normen im Zuge ihrer Anwendung gleichzeitig untergraben.
Folgende Inhalte werden im Seminar behandelt:
- Kritikmodelle: Interne, externe und immanente Kritik
- Identitäts- und Differenzkonzepte in der Migrationsgesellschaft
- Konzepte und Kritik intersubjektiver und interkultureller Anerkennung
- Anerkennung, Toleranz und Kritik von kulturellen Praktiken, Religionen und Lebensformen
- Minderheitenrechte und Schutz von Minderheiten in Minderheiten
- Kulturelle, religiöse und familiäre Zugehörigkeiten versus individuelle Freiheit - ein spannungsreiches Verhältnis
- Ehre, Scham und Schande - Sozialkontrollen, Machtverhältnisse und männliche Dominanz in Familien, und kulturellen Gemeinschaften
- Spiritueller Missbaruch und traditionsbedingte Gewalt - die dunkle Seite religiöser und kultureller Ordnungen
- Hybride Zugehörigkeiten und Normenkonflikte – Herausforderungen für die Migrationspädagogik
- Islamkritik zwischen Islamophobie und Islamverherrlichung - Grenzgänge in der Migrationsgesellschaft
- Kritik im Kontext von (post)kolonialen Zivilisierungsmissionen und epistemischer Gewalt
- Critical Whiteness als Kritik an weißen Privilegien, Normen und Wissensbeständen
- Postmigrantische Perspektiven zur pluralen und radikalen Demokratie
In dieser Veranstaltung findet ein Platzvergabeverfahren statt. Bitte informieren Sie sich hier über den Ablauf: http://www.uni-bielefeld.de/erziehungswissenschaft/bie/faq.html
Internetzugang, da wir im LerntaumPlus arbeiten werden!
Master of Arts: Voraussetzung ist die Einschreibung im Master of Arts Erziehungswissenschaft im SoSe 2020
Wird im Seminar bekannt gegeben
Rhythmus | Tag | Uhrzeit | Format / Ort | Zeitraum |
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Modul | Veranstaltung | Leistungen | |
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25-ME-A4 Inhaltliche Fokussierung | E1: Inhaltliche Fokussierung 1 | Studienleistung
unbenotete Prüfungsleistung benotete Prüfungsleistung |
Studieninformation |
E2: Inhaltliche Fokussierung 2 | Studienleistung
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Studieninformation | |
25-ME-B4 Inhaltliche Fokussierung | E1: Inhaltliche Fokussierung 1 | Studienleistung
unbenotete Prüfungsleistung benotete Prüfungsleistung |
Studieninformation |
E2: Inhaltliche Fokussierung 2 | Studienleistung
unbenotete Prüfungsleistung benotete Prüfungsleistung |
Studieninformation | |
25-ME-C2 Ausgewählte Felder der Migrationspädagogik, Civic- and International Education | E1: Migrationspädagogik and International Education | Studienleistung
unbenotete Prüfungsleistung benotete Prüfungsleistung |
Studieninformation |
25-ME-C4 Inhaltliche Fokussierung | E1: Inhaltliche Fokussierung 1 | Studienleistung
unbenotete Prüfungsleistung benotete Prüfungsleistung |
Studieninformation |
E2: Inhaltliche Fokussierung 2 | Studienleistung
unbenotete Prüfungsleistung benotete Prüfungsleistung |
Studieninformation | |
25-ME3 Forschungsprojekt | E1: Thematische Einführung | Studienleistung
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Studieninformation |
25-ME3-IT Forschungsprojekt | E1: Thematische Einführung | Studienleistung
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Studieninformation |
25-UFP6-C Fachbezogene Vertiefung: Migrationspädagogik, Civic- and International Education | E1: Migrationspädagogik and International Education | Studienleistung
unbenotete Prüfungsleistung |
Studieninformation |
Die verbindlichen Modulbeschreibungen enthalten weitere Informationen, auch zu den "Leistungen" und ihren Anforderungen. Sind mehrere "Leistungsformen" möglich, entscheiden die jeweiligen Lehrenden darüber.