300050 Selbsterfüllende Prophezeiungen? Soziologische Perspektiven auf Wirtschaftsprognosen und -modelle (S) (SoSe 2016)

Das Gerücht über die bevorstehende Insolvenz der Last National Bank führte zu einem Ansturm besorgter Kunden, die ihre Konten auflösten und somit tatsächlich die Krise der bis dahin solventen Bank realisierten. Anhand dieser fiktiven Geschichte veranschaulicht Merton die selbsterfüllende Prophezeiung als Spezialfall ‚unbeabsichtigter Folgen zielgerichteter sozialer Handlung‘ (Merton 1936): Eine unzutreffende Definition der Situation führt zu Verhalten, das wiederum, ohne es zu beabsichtigen, die ursprünglich falsche Einschätzung bewahrheitet (Merton 1948: 195).

Das Seminar lässt sich von Mertons Konzept der selbsterfüllenden Prophezeiung anregen, um nach nach dem Einfluss wissenschaftlicher Beobachtungen zu fragen. Sind Mertons Überlegen insoweit generalisierbar, dass sie die Reaktivität ökonomischer Phänomene auf wirtschaftswissenschaftliche Beobachtungen, Theorien und Modelle erfassen? Der erste Seminarabschnitt befasst sich mit der von Merton skizzierten Abfolge von Gerücht, Wirkung und Ereignis und diskutiert konzeptuelle Erweiterungen der selbsterfüllenden Prophezeiung. Darauf aufbauend gibt das Seminar einen Überblick über wissens- und wissenschaftssoziologische Variationen des Phänomens (wie sie sich in den Begriffspaaren Rankings & Reaktivität oder Fiktion & Fakt zeigen), um sich dann im dritten Abschnitt jenen wissenschaftssoziologisch inspirierten Arbeiten der Finanzsoziologie zu widmen, die mithilfe des Performativitätsbegriffs den Einfluss der Wirtschaftstheorie auf ökonomische Praxis herausarbeiten.

Merton, R.K., 1936: The Unanticipated Consequences of Purposive Social Action. American Sociological Review 1: 894–904.
Merton, R.K., 1948: The Self-Fulfilling Prophecy. The Antioch Review 8: 193–210.