Trotz neuerer Forschungen (Blomqvist, Drews, Leber) erfährt der Autor Walter Kempowski noch keine umfangreiche Aufmerksamkeit innerhalb der germanistischen Literaturwissenschaft. Als zu bieder, konservativ, unkritisch und unexperimentell wurde sein Werk durch eine Forschungsrichtung ablehnt, deren Erkenntnisinteresse sich eher an den sprachavantgardistischen Arbeiten von Uwe Johnson, Arno Schmidt oder Peter Weiss orientierte. Darüber hinaus erfolgte auch von Seiten mancher Literaturkritiker der Vorwurf einer mangelnden Auseinandersetzung mit den Verbrechen des Nationalsozialismus bei einem gleichzeitigen Rückzug auf eine privat-familiäre Ebene zwecks Vermeidung eines politischen Diskurses. Vielleicht lag und liegt aber gerade darin der Reiz und die zahlreiche Leser bis heute faszinierende Authentizität der Texte Kempowskis. Denn: Nicht nur mit seiner megalomanen Textsammlung und Collage "Das Echolot" zeichnet sich Walter Kempowski als relevanter literarischer Chronist der neuesten deutschen Geschichte aus. Was es für die Zusammenstellung dieser Quellen (Tagebücher, Briefe etc.) zu veranschlagen ist, gilt in mehrfacher Hinsicht auch für seine mit autobiographischen Elementen durchsetzten Romane über die Familie Kempowski. Vor allem "Tadellöser & Wolff" (1971) hat durch die detailreiche Nachzeichnung der Entwicklung einer bürgerlichen Familie während der NS-Zeit und des Zweiten Weltkriegs eine große Resonanz erfahren, was unter anderem auch mit der berühmten Verfilmung durch Eberhard Fechner (1975) zusammenhing. Das Seminar wird sich daher in textnaher Lektüre ausgewählten Romanen dieser Familiengeschichte, die der Autor stets auch als "Deutsche Chronik" verstanden hatte, annähern und dabei besondere Aufmerksamkeit richten auf die Figuren- und Charakterzeichnung, die narratologischen Verfahren, die Reflexionen über Geschichte und Erinnerung und darüber hinaus die Frage erörtern, inwieweit Kempowski an der Erstellung eines eigenen (mehr oder weniger fiktiven) Erzähl-Kosmos gelegen war, um Geschichte und deren Wirken exemplarisch begreifbar zu machen.
Die zur Diskussion stehenden Romane von Kempowski sind im Knaus Verlag erschienen und werden schon während der vorlesungsfreien Zeit bei LUCE zum Erwerb vorliegen. Gedacht ist dabei an folgende Romane aus der "Deutschen Chronik":
1) Tadellöser & Wolff (1971)
2) Uns geht's ja noch gold. Roman einer Familie (1972)
3) Ein Kapitel für sich (1975)
4) Schöne Aussicht (1978)
Darüber hinaus sollen auch noch die Bautzener Gefängniserinnerungen
Kempowskis "Im Block" (1970), der späte Roman "Alles umsonst" (2006) und der posthum publizierte Gedichtzyklus "Langmut" (2009) im Seminar besprochen werden. Ebenfalls wird die Verfilmung von Fechner zumindest auszugsweise berücksichtigt. Insgesamt wird während der Interpretationsarbeit auch immer über die Rolle von Literatur als einer zentralen Vermittlerin von Geschichte neben der eigentlichen Geschichtsschreibung und Historiographie und deren spezifische Möglichkeiten und Grenzen reflektiert werden müssen. Schließlich behauptet auch Kempowski zu Beginn von "Uns geht's ja noch gold": "Alles frei erfunden!"
1) Heinz Ludwig Arnold (Hg.): Walter Kempowski, München 2006.
2) Kristina Blomqvist: Walter Kempowskis 'Tadellöser & Wolff' im Lichte narratologischer Theorien, Uppsala 2009.
3) Manfred Dierks: Autor - Text - Leser: Walter Kempowski. Künstlerische Produktivität und Leserreaktionen - am Beispiel 'Tadellöser & Wolff', München 1981.
4) Gita Leber: "Die Spiegelung Gottes". Walter Kempowski theologisch gelesen, Berlin 2011.
5) Christopher Riley: Walter Kempowski's Deutsche Chronik. A Study in Ironic Narration, Frankfurt am Main u.a. 1997.
Frequency | Weekday | Time | Format / Place | Period |
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Degree programme/academic programme | Validity | Variant | Subdivision | Status | Semester | LP | |
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Deutsch als Fremdsprache und Deutschstudien / Master | (Enrollment until SoSe 2008) | MaDaFPM-LHGP | 3/7 | ||||
Deutsch als Fremdsprache und Germanistik / Master | (Enrollment until SoSe 2012) | MaDaFG-GLit | 3/7 | ||||
Literaturwissenschaft / Master | (Enrollment until SoSe 2009) | MaLit3 | 3/7 | ||||
Literaturwissenschaft / Master | (Enrollment until SoSe 2012) | MaLit4a | 3/7 |
aktive Teilnahme: Kurzreferat
benotete Einzelleistung: Hausarbeit (ca. 15 Seiten)