230108 Bilddeutung und Mythenkorrektur in Peter Weiss' "Die Ästhetik des Widerstands" (S) (SoSe 2017)

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Mythenadaptionen sind immer interessengeleitet. Das gilt für die Mythoskorrektur in besonderem Maße. Das hellenis-tische Meisterwerk des Pergamonfrieses lässt sich bereits als eine solche Korrektur begreifen. Aber wenn die mythische Abweichung gegen den Kern des Narrativs verstößt, sollte man nach den Gründen suchen. Wie verbindet sich das Interesse einer Ästhetik des Widerstands mit dem Legitimationsrahmen des antiken Pergamonfrieses? Peter Weiss überspielt die Problematik – mit dem Ziel der gewollten Identifikation. Zunächst erklärt er die „Dämonin der Erde“, Ge, zur Urmutter der erniedrigten Arbeiterschaft. „Sie hatte Uranos, den Himmel, Pontos, das Meer, und alle Gebirge hervorgebracht. Sie hatte die Giganten, Titanen, Kyklopen und Erinnyen geboren. Das war unser Geschlecht. Wir begutachteten die Geschichte der Irdischen“, schreibt Weiss. Dem Roman ist hier schon entgangen, dass die Titanen in Pergamon sich (erstaunlicherweise) gegen die Giganten richten, dass die Kyklopen den Olympiern beistehen in der Titanomachie – und dass alle Genannten Gottheiten sind, strukturell geschieden von den Sterblichen durch ihre Unsterblichkeit.
Der Wunsch nach Identifikation führt aber alle die Unterlegenen, die Geknechteten und Erniedrigten, welche Heilmann, Coppi und der namenlose Ich-Erzähler betrachten, in einer Gruppe zusammen. Ge, die doch Bindeglied sein müsste als Mutter der Giganten wie der Titanen, wird, wie schon im Fries, nur für die Giganten verbucht. Sie wird zudem stilisiert als Klagende per se, als Mittlerin aller Empathie. Sie wirkt darin, von den Frakturen und Verlusten ihrer Körpergestalt seit Jahrhunderten so geprägt wie vom gemeißelten Ausdruck, der im Stein überdauert hat, fast wie eine Antizipation der christlichen Pietà:
„Eine Wunde klaffte vom Kinn bis zum Kehlkopf. Alkyoneus, ihr Lieblingssohn, drehte sich, ins Knie sinkend, schräg von ihr weg. Der Stumpf seiner linken Hand tastete nach ihr. Sein linker Fuß, am gedehnten zersplitterten Bein hängend, rührte sie noch an. Schenkel, Unterleib, Bauch und Brust spannten sich in Konvulsionen. Von der kleinen Wunde, die ihn das giftige Reptil zwischen die Rippen geschlagen hatte, strahlte der Todesschmerz aus. Die weit ausgebreiteten Schwingen des Eisvogels, die ihm aus der Schulter wuchsen, verlangsamten seinen Sturz.“
Herakles hingegen, der Halbgott und erste Heros der Griechen, der den Olympiern beistand im Gigantenkampf, ja dessen Einsatz zwingend nötig war zur Unterwerfung der Aufständischen, wird im Roman geradezu mutwillig der falschen Seite zugeschlagen, nämlich den Opfern der Geschichte: „Herakles aber vermissten wir, den einzigen Sterbli-chen, der sich der Sage nach mit den Göttern im Kampf gegen die Giganten verbündet hatte, und wir suchten zwischen den eingemauerten Körpern, den Resten der Glieder, nach dem Sohn des Zeus und der Alkmene, dem irdischen Helfer, der durch Tapferkeit und ausdauernde Arbeit die Zeit der Bedrohungen beenden würde. Nur auf ein Namenszeichen stießen wir, und auf die Tatze eines Löwenfells, das er als Umhang getragen hatte, sonst zeugte nichts mehr von seinem Standort zwischen dem vierpferdigen Gespann der Hera und dem athletischen Leib des Zeus und Coppi nannte es ein Omen, daß gerade er, der unseresgleichen war, fehlte, und daß wir uns selbst ein Bild dieses Fürsprechers des Handelns zu machen hatten.
Mit kontrafaktischem Voluntarismus arbeitet der Text gegen die Mythologie an, wenn er bekräftigt: „Ihnen, den Unterworfenen, zur Hilfe müßte Herakles kommen, nicht denen, die an Panzern und Waffen genug hatten.“ Dieses Interesse der Umdeutung wird die gesamte Ästhetik des Widerstands prägen. Wir lesen im Seminar nur die Bildbe-schreibungen des ausufernden Werkes und konfrontieren sie mit den Artefakten (Gemälden, Skulpturen) selbst: bei Géricault, Delacroix, Picasso etc.

Bibliography

Bitte anschaffen: Eine Leseausgabe von Peter Weiss: Die Ästhetik des Widerstands. Roman. 3 Bde.

• Literatur wird über elektronischen Lernraum und Handapparat zur Verfügung gestellt.

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