Die anthropologisch anmutende Grundannahme der Wirtschaftswissenschaften ist ein stets eigeninteressiert, nutzenmaximierend und rational handelnder Akteur. Dieser „homo oeconomicus“ wird gleich zu Beginn jedes ökonomischen Lehrbuchs als ein wesentlicher Bestandteil der Theoriebildung vorgestellt, der Vorgänge in der Wirtschaft (und auch darüber hinaus) erklären soll. Diese Grundannahme wird seit langem kritisiert. Sie sei realitätsfern, weil sie den Menschen nicht adäquat abbilde. Sie sei gefährlich, weil sie die Menschen zu einem bestimmten Verhalten erziehe. Sie sei methodisch fragwürdig, weil sie zu den falschen Schlüssen führe.
Ziel des Seminars ist es allerdings nicht, lediglich diese teils berechtigte und teils aus Unkenntnis der ökonomischen Theorie ins Leere zielende Kritik zu diskutieren und den „homo oeconomicus“ als „realitätsfernes Konstrukt“ zu entlarven, sondern seine Biographie aus der Geschichte der Wirtschaftswissenschaften heraus zu rekonstruieren. Dabei tritt ein deutlich lebendigeres und vielschichtigeres Wesen hervor als in den knappen Skizzen ökonomischer Lehrbücher. Wird dem „homo oeconomicus“ heute der Vorwurf der Realitätsferne gemacht, ist seine „Geburt“ nicht ohne die Forderung im 17. und 18. Jahrhundert zu verstehen, den Menschen so zu sehen, wie er „wirklich ist“. Auch mit den Fragen, wie „Rationalität“ und „Nutzen“ zu verstehen sind, haben sich viele Generationen von Ökonomen intensiver auseinandergesetzt als das heute den Anschein haben mag. Gleichzeitig wurde die Frage, auf welche Bereiche des Lebens sich die Annahme des „homo oeconomicus“ überhaupt beziehen sollte, von Ökonomen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts ganz anders beantwortet als von Ökonomen der Chicagoer Schule wie etwa Gary Becker. Dieser vertrat seit den 1960er Jahren die Ansicht, auch Familienplanung, Rassismus und viele andere Phänomene seien mit dem „ökonomischen Ansatz“ erklärbar. Andere Ökonomen stellten den Sinn einer „anthropologischen Grundannahme“ oder der Suche nach einer Definition für „Nutzen“ ganz in Frage, während parallel an Modifizierungen der Rationalitätsannahme und einem „realistischeren“ Menschenbild gearbeitet wurde. Der „homo oeconomicus“ stand stets im Brennpunkt dieser Auseinandersetzungen.
In der Rekonstruktion seiner Geschichte lassen sich daher auch zentrale Wegmarken und Fragen sozialwissenschaftlicher Theoriebildung diskutieren, die weit über die Grenzen der Ökonomie herausreichen. Wie lassen sich komplexe Phänomene, wie „die Wirtschaft“ theoretisch beschreiben? Wie ist das Verhältnis von Theorie und Realität? Wie normativ darf eine Wissenschaft sein? Wie berechtigt sind "zeitlose" Grundannahmen?
Diese Fragen werden an klassischen Texten verschiedener Ökonomen diskutiert. Adam Smiths berühmte Darstellung, wie das Eigeninteresse der Menschen zum Wohl für die ganze Gesellschaft führt. John Stuart Mills Überlegungen, wie „realistisch“ ein der Theorie zu Grunde liegendes Modell sein sollte. Herbert Simons Ausführungen zu „begrenzter Rationalität“ und die Kritik des Psychologen Daniel Kahneman an der Außerachtlassung menschlicher Problemwahrnehmung sind nur einige der Themen, die in dem Seminar diskutiert werden sollen.
keine Vorkenntnisse erforderlich
Texte sind teilweise auf englisch
Rhythmus | Tag | Uhrzeit | Format / Ort | Zeitraum |
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Modul | Veranstaltung | Leistungen | |
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22-2.1 Theoriemodul | Grundseminar Historiographie | Studieninformation | |
Grundseminar Theorien in der Geschichtswissenschaft | benotete Prüfungsleistung
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Studieninformation |
Die verbindlichen Modulbeschreibungen enthalten weitere Informationen, auch zu den "Leistungen" und ihren Anforderungen. Sind mehrere "Leistungsformen" möglich, entscheiden die jeweiligen Lehrenden darüber.
Studiengang/-angebot | Gültigkeit | Variante | Untergliederung | Status | Sem. | LP | |
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Frauenstudien | (Einschreibung bis SoSe 2015) | ||||||
Geschichtswissenschaft / Bachelor | (Einschreibung bis SoSe 2011) | Kern- und Nebenfach | Modul 2.2; Modul 2.4; Modul 2.8 | Wahlpflicht | 4 | scheinfähig | |
Geschichtswissenschaft / Bachelor | (Einschreibung bis SoSe 2011) | Kern- und Nebenfach | 3.2.1; 3.4.4; 3.6.4 | Wahlpflicht | 4 | scheinfähig Übung | |
Geschichtswissenschaft (G) / Master of Education | (Einschreibung bis SoSe 2014) | 3.4.4 | Wahlpflicht | 4 | scheinfähig | ||
Geschichtswissenschaft (Gym/Ge) / Master of Education | (Einschreibung bis SoSe 2014) | Modul 2.4; 3.2.1 | Wahlpflicht | 4 | scheinfähig | ||
Geschichtswissenschaft (HR) / Master of Education | (Einschreibung bis SoSe 2014) | 3.6.4 | Wahlpflicht | 4 | scheinfähig |