220103 „Bartlos bis zur Bewußtlosigkeit“. Körperpraktiken und Erscheinungsbilder der Geschlechter im 19. und 20. Jahrhundert (S) (WiSe 2012/2013)

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Den „Bewegungskrieg heutigen Tempos“ und „doppelt so schneller Leistungen“, hieß es 1928 in einem Anstandsbuch, hatte der Mann des 20. Jahrhunderts nicht mehr allein mit Sachverstand, sondern mit „frisch aufgebügelter Wange“ und sportlich gebräuntem Teint zu bestehen – die bärtigen Honoratioren des 19. Jahrhunderts nahmen sich dagegen blass aus. Körperideale und Verhaltensstile der Geschlechter näherten sich an: Sportlichkeit ebenso wie das Gefühl für Ästhetik, Sachlichkeit ebenso wie der spielerische Umgang mit Geschlechterrollen galten als Orientierungsmaßstäbe für Männer wie Frauen. Obwohl die Grenzen des Akzeptablen, die drohenden Überschreitungen der Geschlechterordnung alsbald kritisch diskutiert wurden, begann Schönheit, im bürgerlichen Wertekanon des 19. Jahrhunderts als primär weibliches Ziel der Selbstwerdung beschrieben, als körperästhetische Selbst-Gestaltung zu einer Leistungsanforderung auch an das moderne männliche Subjekt zu werden.

Das Seminar geht den Modellierungen moderner Subjekte aus körper- und geschlechtergeschichtlicher Perspektive nach und befragt ihren Wandel von der Formierung der bürgerlichen Gesellschaft um 1800 bis zum Beginn der Spätmoderne. In den Blick genommen wird der Körper als ein Medium gesellschaftlicher Selbstverständigung. In welchen Ausdrucksformen, Verhaltensweisen und Umgängen mit dem Körper nahmen Männer und Frauen als Subjekte Gestalt an? Welche politisch-sozialen Ordnungsmodelle und Wunschbilder, welche Abgrenzungen, Machtverhältnisse und Versprechen waren mit ihnen verbunden? Welche Faktoren bedingten einen Wandel der Körperpraktiken, Erscheinungsbilder und Bewegungsspielräume der Geschlechter, und wie wurden Veränderungen diskutiert?
Nach einer Einführung in die Körper- und Geschlechtergeschichte werden diskurstheoretische und praxeologische Theorieansätze (Mauss; Bourdieu, Foucault, Butler) erarbeitet, unterschiedliche Quellenarten (Benimmbücher, Lexika, Publizistik, Bilder, Selbstzeugnisse) einer Spurensuche nach veränderten Körperpraktiken unterzogen und schließlich einzelne Themenfelder (Sport, Gesundheit, Hygiene, Sexualität, Körperkultur, Kleidung/Mode, Arbeit, mediale Körperinszenierungen) vertieft analysiert.

Bibliography

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Subject assignments

Degree programme/academic programme Validity Variant Subdivision Status Semester LP  
Gender Studies / Master (Enrollment until SoSe 2013) Hauptmodul 3; Hauptmodul 3.1   3 (bei Einzelleistung 3 LP zusätzlich)  
Geschichtswissenschaft / Bachelor (Enrollment until SoSe 2011) Kern- und Nebenfach 3.2.9 Wahlpflicht 8 scheinfähig  
Geschichtswissenschaft (Gym/Ge) / Master of Education (Enrollment until SoSe 2014) 3.2.9 Wahlpflicht 8 scheinfähig  

Erwartet werden regelmäßige Teilnahme und Mitarbeit, eine mündliche Präsentation/Referat und eine schriftliche Hausarbeit.

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Last update times:
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Last update rooms:
Friday, July 6, 2012 
Type(s) / SWS (hours per week per semester)
S / 2
Department
Faculty of History, Philosophy and Theology / Department of History
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33140104