Im Zentrum des Seminars steht die Auseinandersetzung mit dem Patriarchatsbegriff, der einen politischen Kampfbegriff der Neuen Frauenbewegungen und eine Schlüsselkategorie des akademischen Feminismus der 1970er und 1980er Jahre darstellte. Seine Verwendung zielte nicht nur auf einzelne Aspekte eines Herrschaftsverhältnisses, sondern auf die gesellschaftlichen Verhältnisse insgesamt, indem er nicht nur den Anspruch erhob, Gesellschaftsanalyse leisten, sondern die Gesellschaft von Grund auf verändern zu wollen. Fast zeitgleich mit seinem Auftauchen wurde die Rede von „dem Patriarchat“ jedoch auch innerfeministisch als Leerformel, weil ahistorisch, statisch und Frauen pauschal viktimisierend sowie als differenzvergessen (‚intersektionalitätsblind‘) kritisiert. Besonders im akademischen Diskurs wich die Patriarchatskritik seit den 1990er Jahren daher weitgehend einer als wissenschaftlicher angesehenen Analyse von Geschlechterordnungen einerseits sowie der Kritik der heteronormativen Zweigeschlechtlichkeit und des (Cis-)Heterosexismus andererseits. Dies verweist auf grundlegende Perspektivverrückungen und Brüche zwischen der Frauen- und Geschlechterforschung und den gender-, queer- und trans studies.
Das Theorieseminar wirft einen Blick zurück und rekonstruiert Verschiebungen und Wandel im feministischen Denken bezogen auf Geschlecht als Struktur- und Herrschaftskategorie. Was versteht man unter Geschlecht als Strukturkategorie? Welche Macht- und Herrschaftskonzeptionen sind damit verbunden? Was sieht man mit welchen Begriffen, was blenden sie jeweils aus? Was wurde gelernt, was wurde (wieder) vergessen?
Wir beginnen mit ausgewählten feministischen Ansätzen zu Patriarchat und seiner Entstehung (Kate Millett, Shulamit Firestone, Gerda Lerner) sowie Einsprüchen und Ergänzungen aus lesbischer und sexualitätspolitischer Perspektive (Gayle Rubin/ Adrienne Rich). Auch die Debatten um die (Mit-)täterschaft von Frauen (Frigga Haug/Christina Thürmer-Rohr), die Kritik Schwarzer Feministinnen an einem falschen Universalismus (exemplarisch Bell Hooks) und die Kritik an deutschen nichtjüdischen Feministinnen, die den Nationalsozialismus in erster Linie als Patriachat (mis-)interpretierten und dadurch eine Auseinandersetzung mit Nationalsozialismus und Antisemitismus abwehrten, werden beleuchtet. Ferner analysieren wir Versuche, Patriarchatstheorien und Konzepte männlicher Herrschaft, die im Anschluss an diese Kritiken verfasst wurden, zu präzisieren (Ute Gerhard, Silvia Walby, Pierre Bourdieu). Schließlich behandeln wir exemplarisch Verschiebungen im feministischen Denken im Kontext von Queer theory, Dekonstruktion bzw. queerfeministischen Ansätzen, die Zweigeschlechtlichkeit und (Cis-)Heteronormativitätskritik ins Zentrum stellen.
Das Theorieseminar fokussiert Geschlecht als Herrschafts- und Strukturkategorie in Geschlechterforschung und feministischer Theorie zwischen den 1970er Jahren und heute anhand von ausgewählten angelsächsischen und deutschsprachigen Beiträgen. Die Frage, wie die Subordination von Frauen, herrschaftsförmige Geschlechterverhältnisse und “gendered hierachies”/“inequalities“/“oppression“ zu denken seien und in welchem Verhältnis sie zu anderen Herrschaft und Ungleichheit generierenden Verhältnissen stünden, führt dabei zu feministischen Grundfragen um Macht und Herrschaft, Gleichheit und Differenz, Anerkennung und Umverteilung, Gerechtigkeitsdenken und Normierungskritik.
Aulenbacher, Brigitte (2008): „Geschlecht als Strukturkategorie: Über den inneren Zusammenhang von moderner Gesellschaft und Geschlechterverhältnis.“ In: Wilz, Silvia Marlene (Hrsg.): Geschlechterdifferenzen – Geschlechterdifferenzierungen. Ein Überblick über gesellschaftliche Entwicklungen und theoretische Positionen. Wiesbaden: VS Verlag, S. 139-166.
Beer, Ursula (2008): „Sekundärpatriarchalismus: Patriarchat in Industriegesellschaften.“ In: Becker R., Kortendiek B. (Hrsg.): Handbuch Frauen- und Geschlechterforschung. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-531-91972-0_7
Bourdieu, Pierre (2005): Die männliche Herrschaft. Frankfurt am Main: Suhrkamp.
Cyba, Eva (2008): „Patriarchat: Wandel und Aktualität.“ In: Becker R., Kortendiek B. (Hrsg.): Handbuch Frauen- und Geschlechterforschung. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-531-91972-0_1
Gerhard, Ute (2017): „Patriarchat – Patriarchalismus: Kampfparole und analytisches Konzept.“ In: Kortendiek B., Riegraf B., Sabisch K. (Hrsg.): Handbuch Interdisziplinäre Geschlechterforschung. Geschlecht und Gesellschaft, vol 65. Wiesbaden: VS Verlag. https://doi.org/10.1007/978-3-658-12500-4_17-1
Knapp, Gudrun-Axeli/Angelika Wetterer (Hrsg.) (1992): TraditionenBrüche. Entwicklungen feministischer Theorie. Freiburg: Korte.
Rhythmus | Tag | Uhrzeit | Format / Ort | Zeitraum |
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Modul | Veranstaltung | Leistungen | |
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30-M-Soz-M9a Geschlechtersoziologie a | Seminar 1 | Studienleistung
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Studieninformation |
Seminar 2 | Studienleistung
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Studieninformation | |
- | benotete Prüfungsleistung | Studieninformation | |
30-M-Soz-M9b Geschlechtersoziologie b | Seminar 1 | Studienleistung
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Seminar 2 | Studienleistung
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Studieninformation | |
- | benotete Prüfungsleistung | Studieninformation | |
30-MGS-4 Hauptmodul 3: Arbeit und gesellschaftliche Transformationen | Seminar 1 | Studienleistung
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Studieninformation |
Seminar 2 | Studienleistung
benotete Prüfungsleistung |
Studieninformation |
Die verbindlichen Modulbeschreibungen enthalten weitere Informationen, auch zu den "Leistungen" und ihren Anforderungen. Sind mehrere "Leistungsformen" möglich, entscheiden die jeweiligen Lehrenden darüber.
Studiengang/-angebot | Gültigkeit | Variante | Untergliederung | Status | Sem. | LP | |
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Geschlechterforschung in der Lehre | |||||||
Studieren ab 50 |
Das Seminar findet online via Zoom statt und wird, sofern die Umstände es zulassen, von zwei vierstündigen Präsenzsitzungen zu Beginn und Ende des Seminars ergänzt. Voraussetzung für die Teilnahme am Seminar ist die Freude an theoretischen Debatten und die Bereitschaft, sich auf komplizierte und kontroverse Themen einzulassen. Dazu gehört, regelmäßig an den Seminarsitzungen teilzunehmen und sie vorzubereiten, deutsche und englische theoretische Texte zu lesen sowie ein Impulsreferat zu einem ausgewählten Thema zu halten. Anforderung für den Leistungsnachweis ist das Verfassen eines wissenschaftlichen Essays mit Literaturangaben (max. 3000 Wörter plus bibliographische Angaben) zu einem der im Seminar besprochenen Schlüsselbegriffe der Geschlechterforschung.
Zu dieser Veranstaltung existiert ein Lernraum im E-Learning System. Lehrende können dort Materialien zu dieser Lehrveranstaltung bereitstellen: