300173 Die beiden Soziologien Max Webers (S) (WiSe 2003/2004)

Max Weber gilt als Begründer einer theoretischen Richtung innerhalb der modernen Soziologie, die als "methodologischer Individualismus" bekannt geworden ist und die heute in Gestalt des "Rational Choice" eine bemerkenswerte Renaissance erfahren hat. Er hatte in diesem Zusammenhang bereits 1913 die Forderung aufgestellt, daß eine "verstehende Soziologie" vom subjektiv gemeinten Sinn der handelnden Individuen ausgehen müsse, um die Hypostasierung von Kollektivgebilden zu eigenständigen Subjekten zu vermeiden. Im älteren Teil seines Hauptwerkes "Wirtschaft und Gesellschaft" ist Weber diesen methodologischen Vorgaben jedoch nicht gefolgt, was in der Sekundärliteratur immer wieder zu Irritationen und kritischen Rückfragen an sein Werk geführt hat. Das vorliegende Seminar geht von der Arbeitshypothese aus, daß Max Weber im Laufe seines Lebens zwei verschiedene soziologische Ansätze - nämlich eine "entwicklungsgeschichtliche" und eine "individualistische" Richtung der Soziologie - vertreten hat, die in seinem Werk Eingang gefunden haben und die strikt voneinander unterschieden werden müssen. Denn nur so ist es uns möglich, uns nicht vorschnell von Weber zu verabschieden, sondern seine bleibende Bedeutung für die moderne Soziologie entsprechend zu würdigen.

Literaturangaben

Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, 5. Aufl. Tübingen 1972
Ders., Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre, 6. Aufl. Tübingen 1985
Klaus Lichtblau, Max Weber's Two Sociologies, in: Max Weber Studies, Vol. 3 (2003), No. 2, pp. 229-234
Zenonas Norkus, Max Weber und Rational Choice, Marburg 2001
Fritz Ringer, Max Weber's Methodology. The Unification of the Cultural and Social Sciences, Cambridge/MA 1997
Richard Swedberg, Max Weber and the Idea of Economic Sociology, Princeton 1998