230351 Literatur und Politik der sechziger Jahre (S) (SoSe 2007)

Im Zentrum des Seminars stehen Begriff und Praxis des politischen Engagements von Schriftstellern. In den fünfziger Jahren hatten die Schriftsteller in der Bundesrepublik Deutschland eine wichtige Rolle in der Öffentlichkeit als geistige Opposition und moralisch-politische Instanz gespielt und zur Herausbildung eines demokratischen Klimas und zur Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit entscheidend beigetragen.

In den Sechzigern greifen deutsche Schriftsteller zunehmend in die gesellschaftlichen Auseinandersetzungen ein. Diese Epoche ist charakterisiert durch einen tief greifenden politischen, kulturellen und gesellschaftlichen Wandel, der sich vor allem in veränderten Einstellungen, Werten und Normen des Alltagslebens äußert. Wir können eine Politisierung vieler - auch der bedeutenden - Schriftsteller beobachten. In den Debatten über die Rolle der Schriftsteller in der Demokratie setzt sich innerhalb des literarischen Feldes eine Position durch, die Distanz zu den staatstragenden Eliten und wirtschaftlichen und politischen Machtzentren sucht und auf eine Rolle als oppositionelle Intellektuelle hinausläuft. Einen nicht unerheblichen Einfluß auf die Schriftsteller gewinnt die Gesellschafts- und Kulturkritik der sog. Frankfurter Schule bzw. der Kritischen Theorie. Schriftsteller wie Böll, Grass, Walser, Enzensberger, Weiss u.a. engagieren sich unmittelbaren in politischen Protestbewegungen gegen den Vietnamkrieg der US-Amerikaner oder die Notstandsgesetze und setzen sich auf unterschiedliche Weise mit den weltweiten Jugend- und Studentenrevolten von 1968 auseinander.Hatten sich die deutschen Nachkriegsautoren in den Fünfzigern vor allem mit Romanen (Grass) oder Lyrik (Bachmann) durchgesetzt, so dominieren in den Sechzigern das zeitgenössische Drama und die kritische Publizistik (Kursbuch, Konkret, Pardon, Sammelbände in den großen Verlagen usw.).

Das interdisziplinär angelegte Seminar wird am Beispiel ausgewählter Autoren das Verhältnis von Literaturkonzeptionen und politischer Praxis zwischen dem Mauerbau 1961 und dem Mißtrauensvotum gegen den Kanzler Willy Brandt untersuchen und dabei die Entwicklung dieser Phase der Nachkriegsgeschichte einbeziehen.

Literarische Werke:

Rolf Hochuth: Der Stellvertreter. 1962
Peter Handke: Publikumsbeschimpfung. 1966.
Peter Weiss: ''Die Verfolgung und Ermordung des Jean Paul Marats, dargestellt durch die Schauspieltruppe des Hospizes zu Charenton unter Anleitung des Herern des Sade.''1964.
Siegfried Lenz: ''Deutschstunde.''1968.
Rolf Dieter Brinkmann: Acid. 1969.
Rolf Dieter Brinkmann: Godzilla. 1968.
Hubert Fichte: Die Palette. 1968.
Günter Wallraff: 13 unerwünschte Reportagen. 1969.
Erich Fried: und VIETNAM und. 1966
Hans Magnus Enzensberger: Gemeinplätze, die Neueste Literatur betreffend. 1968.
Bernard Vesper: Die Reise. 1977.

Eine Liste der einführenden Forschungsliteratur wird nachgereicht.