000045 "Kunst verstehen" - Aspekte und Konzepte einer philosophischen Ästhetik (S) (SoSe 2005)

Kurzkommentar

Inhalt, Kommentar

Seit ihrer engeren Begründung Mitte des achtzehnten Jahrhunderts versteht die [philosophische] Ästhetik sich als eine besondere Weise der Vernünftigkeit und Reflexion ihrer je eigenen kulturellen und gesellschaftlichen Geschichte. Dabei geht sie in der Betrachtung der Werke der Kunst auf die jeweils aktuellen Theoriekonstellationen ein, um jene Bestimmungsmomente zu konstruieren, im Rekurs auf die sich überhaupt erst jenseits bloßer "Geschmacksurteile" von einem "gelungenen Kunstwerk" sprechen lässt.
Der Geburt der Ästhetik als philosophischer Disziplin im deutschen Idealismus ging eine bereits am Ende des Mittelalters einsetzende geistige Bemühung um das spezifische Problem einer von religiösen Imperativen befreiten, nicht mehr theozentrisch orientierten Weltdeutung voraus: das Problem, wie denn ohne Rekurs auf eine oberste, absolute Instanz, die letztendlich Einheit und Harmonie garantiert, das Verhältnis von Denken und Sein, von Geist und Natur, aber auch die ethisch-soziale Einbindung des Individuums zu bestimmen sei. Denn spätestens mit dem fortschreitenden Erfolg der Aufklärung, ihrem Einbruch in die Domänen der traditionellen, von Gottesfurcht und Ständehierarchie geprägten Existenzform, vollends jedoch mit der französischen Revolution, zeigte sich die Kehrseite des allgemeinen Emanzipationsprozesses: Sinnkrise, Vereinzelung und Normenverlust, Zerfall des gesellschaftlichen Lebens in antagonistische, nur noch durch den Mechanismus der Institutionen verbundene Gruppierungen.
Auch die Kunst blieb von solchen Irritationen nicht verschont. Aus dem Dienst am Glauben entlassen, ihrer Identifikationsleistung für die kulturelle Gemeinschaft beraubt und weithin privatisiert, fand sie sich genötigt, ihre Aufgabe neu zu definieren. Aufgrund der Vorherrschaft des analytischen Verstandes war sie aber gleichzeitig einem Funktionalismus unterworfen, der dem didaktischen Nutzen gegenüber der verbindenden Kraft des Schönen den Vorzug gab, so dass die Kunst die Initiative nur dann wieder an sich reißen zu können glaubte, wenn sie der Prosa des Verstandes mit ihren Konflikten und Differenzen nicht entflieht, sondern sich kritisch mit ihr konfrontiert. Sie vergewissert sich der Möglichkeit einer neuen versöhnenden Synthesis, indem ihr die Negativität des Schmerzes und der Trauer um die verlorene Einheit widerfährt. Diese Konsequenz des emanzipatorischen Prozesses wurde vom Idealismus als der "Revolution des Geistes", die für viele Zeitgenossen die theoretische Untermauerung beziehungsweise Überhöhung der politischen Ereignisse in Frankreich darstellte, aufgegriffen und zum methodischen Prinzip erhoben. Er unternahm - eindeutig jedenfalls in seiner ersten Phase - eine systematische Ableitung alles Wissens und ebenso dessen, was die klassische Metaphysik mit "Sein" bezeichnet hat, aus dem Faktum menschlicher Subjektivität, war also im wesentlichen der Versuch einer Begründung der Vernunft nur durch Vernunft. -
Heutigen Überlegungen zum Status und zur Funktion des Kunstwerks ist dieses Pathos fremd. An seine Stelle tritt ein pragmatischer Umgang mit der Kunst, der sogar die Kategorie des "Schönen" hinter sich gelassen zu haben scheint. Daneben wird den Kunstwerken immer noch abverlangt, das zur Anschauung zu bringen, was sich einer begrifflichen Erfassung sperrt. Dies gilt nicht zuletzt auch im Blick auf die sogenannte "religiöse Kunst".
An hand ausgewählter Positionen zu Status und Funktion von Kunstwerken seit der Antike will das Seminar sich (historisch) mit dieser Entwicklung auseinandersetzen und (systematisch) fragen, wie gegenwärtig am Endpunkt dieser Entwicklung überhaupt noch von Kunst zu sprechen sei - auch im Blick auf die Praxisfelder des Theologen.

Literaturangaben

Literatur (in Auswahl):
Th. W. Adorno, Ästhetische Theorie, Frankfurt 1970.
W. Benjamin, Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit, Frankfurt 101977.
K. H. Bohrer, Ästhetische Negativität, München 2002.
A. Gehlen, Zeit - Bilder. Zur Soziologie und Ästhetik der modernen Malerei, Frankfurt-Bonn 21965.
H. R. Jauß (Hrsg.), Die nicht mehr schönen Künste (=Poetik und Hermeneutik Bd. 3), München 1968.
Ders., Ästhetische Erfahrung und literarische Hermeneutik, Frankfurt 21984.
W. Oelmüller (Hrsg.), Diskurs: Kunst und Schönes (=Philosophische Arbeitsbücher Bd. 5), Paderborn 1982.
N. Schneider, Geschichte der Ästhetik von der Aufklärung bis zur Postmoderne, Stuttgart (Reclam) 1996.
W. Schulz, Metaphysik des Schwebens. Untersuchungen zur Geschichte der Ästhetik, Pfullingen 1985.

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