230715 Die Ästhetik der Krankheit: Einführung in die Disability Studies und Age Studies (S) (WiSe 2009/2010)

Inhalt, Kommentar

Krankheit und Alter gehören zu den Gegebenheiten der Existenz. Dennoch erfahren sie im alltäglichen Leben eine Verdrängung. Aufgrund des Anspruchs gegenüber perfekter Funktionalität werden diese anthropologischen Konstanten in eine Gedächtnislücke verbannt. Ähnliches gilt für den diese Perfektibilität einschränkenden und damit relativierenden Modus der körperlichen und geistigen Behinderung. Zugleich sind jedoch Alter, Krankheit und Behinderung auch normative Parameter der Wertung, mit denen der soziale und der medizinische Diskurs ein Einteilungsraster von Norm und Abweichung und damit von Inklusion und Exklusion betreiben. Das haben sowohl die Diskursanalyse Foucaults mit ihrer Thematisierung der "Anormalen" als auch die neueren kulturwissenschaftlichen Disziplinen der "Disability Studies" und der "Age Studies" herausgearbeitet. Außerdem hat die Renaissance eines "somatic turn" in den Geisteswissenschaften zu einer stärkeren Beachtung der sozialen und kulturellen Funktion und Codierung von Körperlichkeit geführt. "Body" und "Beauty Politics" werden - das ergeben auch die neueren Arbeiten von Judith Butler - zu neuen Mechanismen von Differenzierung und darüber hinaus auch von Identitätskonstruktion. Derlei Fragestellungen haben inzwischen auch ihren Einzug in die aktuelle Literaturwissenschaft gehalten. Das mag daraus resultieren, dass Literatur und Kunst aufgrund ihrer spezifischen Sprechweise, in ihrer ästhetisch modulierten Alterität, jenseits einer alltäglichen und pragmatisch ausgerichteten Kommunikabilität, besonders dafür geeignet sind sowohl diese gesonderten und existentiell relevanten Zustände darzustellen, als auch die subjektive Erfahrung von Alter, Behinderung und Krankheit als (oft von externen Faktoren generierte) Abweichung von der Norm plausibel zu machen. So kann nach Peter von Matt - mit Blick auf das Alter - Literatur die Frage zur Disposition stellen, "ob die Würde denn nicht mit dem Körper zerfalle. Daß die Antwort leidenschaftlich ausfällt, bestätigt die Brisanz der Fragestellung." Ebenso fällt auf, dass diese exkludierten Randerscheinungen der Alten, Kranken etc. einen besonderen Reiz für manche Künstler ausüben, um auf diese Weise Identifikationsfiguren für die eigene - bewusst betriebene - Abweichung konstruieren zu können, so zum Beispiel durch Charles Baudelaires Gedicht "Les petites vieilles". Das Seminar wird sich in komparatistischer und intermedialer Ausrichtung dieser Fragekomplexe und der formalästhetischen Darstellung und Inszenierung von Alter, Behinderung und Krankheit annehmen, dabei gezielt in die neueren Strömungen der "Disabilty Studies" und der "Age Studies" einführen und auch kritisch deren Relevanz für die literaturwissenschaftliche Forschung diskutieren. Nach einer ausführlichen Besprechung wichtiger theoretischer und methodologischer Ansätze könnten in dieser Lehrveranstaltung Texte zu Grunde gelegt werden z.B. von Antonió Lobo Antunes, Charles Baudelaire, Noberto Bobbio, Elias Canetti, Michel Houllebecque, Victor Hugo, Franz Kafka, D.H. Lawrence, Siegfried Lenz, Dagmar Leupold, Thomas Mann, Andrew Marvell, Guy de Maupassant, Molière, Annette Pehnt, Edgar Allan Poe, Wilhelm Raabe, Marcel Schwob, Martin Walser, Oscar Wilde und Heinrich Zschokke, sowie Filmbeiträge von Robert Aldrich, Tod Browning, David Lynch und Lucchino Visconti, außerdem bildende Kunst von Francis Bacon, Matthew Barney, Hans Bellmer, Otto Dix, Francisco Goya, Mike Kelley, Gustav Klimt und Cindy Shearman.
Ein ausführlicher Seminarplan mit Referatsvorschlägen wird zu Beginn der vorlesungsfreien Zeit per rundmail verschickt werden.

Teilnahmevoraussetzungen, notwendige Vorkenntnisse

1) Der erfolgreiche Abschluss von Fachportal und Basismodulen
2) Der Erwerb eines Seminar-Readers vor Semesterbeginn
(ca. Anfang Oktober)

Literaturangaben

1) Markus Dederich: Körper, Kultur und Behinderung. Eine Einführung in die Disability Studies, Bielefeld 2007.
2) Michel Foucault: Die Anormalen. Vorlesungen am Collège de
France (1974-1975). Aus dem Französischen von Michaela Ott
und Konrad Honsel, Frankfurt am Main 2007.
3) Michael Hagner (Hg.): Der falsche Körper. Beiträge zu einer Geschichte der Monstrositäten, Göttingen 1995.
4) Michel Kunow: "Ins Graue". Zur kulturellen Konstruktion von
Altern und Alter", in: Heike Hartung (Hg.): Alter und Geschlecht.
Repräsentation, Geschichten und Theorien des Alter(n)s, Bielefeld 2005, S. 21-43.
5) Klaus E. Müller: Der Krüppel. ethnologia passionis humanae, München 1996.
6) Werner Schneider: Der Prothesen-Körper als gesellschaftliches Grenzproblem, in: Markus Schroer (Hg.): Soziologie des Körpers, Frankfurt am Main 2005, 371-397.
7) Thomas Schramme: Ist Alter eine Krankheit?, in: Sebastian Knell/Marcel Weber (Hgg.): Länger leben? Philosophische und biowissenschaftliche Perspektiven, Frankfurt am Main 2009, S. 235-263.
8) Susanne Scholz (Hg.): MenschenFormen. Visualisierungen des Humanen in der Neuzeit, Königstein/Taunus 2007.
9) Susan Sontag: Krankheit als Metapher. Aus dem Amerikanischen von Karin Kersten und Carolin Neubaur, Frankfurt am Main 2003, zweite Auflage.
10) Peter von Matt: Die drei Dimensionen der zerfallenden Autorität, in: ders.: Verkommene Söhne, mißratene Töchter. Familiendesaster in der Literatur, München 2004, vierte Auflage,
S. 131-142.

Lehrende

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Fachzuordnungen

Studiengang/-angebot Gültigkeit Variante Untergliederung Status Sem. LP  
Germanistik / Bachelor (Einschreibung bis SoSe 2011) Kern- und Nebenfach BaGerP2S; BaGerP2G   2/5  
Germanistik / Master of Education (Einschreibung bis SoSe 2014) BaGerP2S; BaGerP2G   2/5  
Germanistik (GHR) / Master of Education (Einschreibung bis SoSe 2014) BaGerP2S; BaGerP2G   2/5  
Kulturseminare Literatur    
Literaturwissenschaft / Bachelor (Einschreibung bis SoSe 2011) Nebenfach BaLitP4; BaLitP7   2/4  
Studieren ab 50    

1) Für die regelmäßige und aktive Teilnahme (2 LP) sind permanenter Besuch der Veranstaltung, Lektüre und gezielte Durcharbeitung der Seminartexte und engagierte mündliche Mitarbeit erforderlich.
2) Für den Erwerb einer benoteten Einzelleitung (5 LP) muss eine schriftliche Hausarbeit (ca. 12-15 Seiten) angefertigt werden oder ein ausführliches Referat plus Thesenpapier und knapper Ausarbeitung (ca. 5 Seiten) gehalten werden. Ebenso ist die regelmäßige Teilnahme und die Textlektüre für einen erfolgreichen Besuch des Seminars selbstverständlich.

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Teilnahmebegrenzung:
Begrenzte Anzahl Teilnehmer*innen: 40
Adresse:
WS2009_230715@ekvv.uni-bielefeld.de
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Falls die Belegnummer mehrfach im Semester verwendet wird können Sie die folgende alternative Verteileradresse nutzen, um die Teilnehmer*innen genau dieser Veranstaltung zu erreichen: VST_12714101@ekvv.uni-bielefeld.de
Reichweite:
7 Studierende direkt per E-Mail erreichbar
Hinweise:
Weitere Hinweise zu den E-Mailverteilern
Letzte Änderung Grunddaten/Lehrende:
Freitag, 11. Dezember 2015 
Letzte Änderung Zeiten:
Mittwoch, 23. September 2009 
Letzte Änderung Räume:
Mittwoch, 23. September 2009 
Art(en) / SWS
Seminar (S) / 2
Einrichtung
Fakultät für Linguistik und Literaturwissenschaft
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