220031 Geschichte erzählen (S) (SoSe 2007)

Inhalt, Kommentar

Als die schöne Lady Montague um 1800 gemahnt wurde, ihre Hände seien nicht sauber, erwiderte sie ganz cool: "Das nennen Sie schmutzig? Da sollten Sie erst meine Füße sehen!" Ein Schlaglicht auf einen säkularen Bruch in den Sauberkeitsnormen, berichtet von Fernand Braudel. Von Herodot bis heute, über 2500 Jahre, waren und sind Geschichten das Lebenselixier der Geschichtsschreibung. Nur die neuere Geschichtswissenschaft hat diese ihre vitale Wurzel oft verleugnet: wie es scheint, nicht selten zu ihrem Schaden. Selbst theoretisch ambitionierte Geschichtswerke würden transparenter, wenn man deren verborgene Story offenlegte. Jüngst klagte ein Rundfunkredakteur, heutige Historiker seien in den Medien nicht einmal für Historisches zu gebrauchen, da sie zwar Geschichte dekonstruieren, aber keine Geschichten erzählen könnten. Eben dies ist vermutlich ein - oftmals uneingestandener - Hauptgrund, weshalb das Schulfach Geschichte vielfach als langweilig verschrien ist. Seit Jahrzehnten bei studentischen Unterrichtsübungen immer das gleiche Bild: Kaum hat der Student die Klasse betreten, verteilt er Kopien und verordnet Gruppenarbeit. Am Ende werden an der Tafel Wortfetzen in Kästchen eingetragen: Das nennt sich "Arbeitsunterricht". Selbst der einleitende historische Kontext wird per Textkopie und Overhead-Projektor vermittelt. Diese Methode, permanent strapaziert, läuft sich zu Tode. Dem soll diese Veranstaltung - ein neues geschichtsdidaktisches Experiment! - gezielt entgegenarbeiten, und zwar nicht nur mit theoretischen Huldigungen an das "narrative Prinzip", sondern auch ganz praktisch. Im Idealfall wird die Geschichte mündlich erzählt. Die menschliche Erinnerung scheint so beschaffen zu sein, daß sie am besten solche Geschichten behält.
Gewiss gibt es Grund zur Vorsicht: Die schönsten Anekdoten haben sich so oft gar nicht zugetragen, und die besten Geschichtenerzähler sind nicht selten die größten Schwindler. Aus der Literaturwissenschaft lernen wir eine Menge darüber, wie unterschiedliche Erzählformen den Stoff stilisieren; in der Geschichtswissenschaft kommt die Frage nach der historischen Wahrheit dazu. Wir sollten den Geschichten nicht naiv aufsitzen, aber auch nicht über Dekonstruktion und Narrationstheorie das Erzählen selbst zu kurz kommen lassen. Jeder Seminarteilnehmer soll daher eine Geschichte aus der Geschichte erzählen und anschließend deren historische Aussagekraft für Schüler erläutern und diskutieren. Für den Unterricht brauchen wir kurze pointierte Geschichten, nicht stundenlange "epische" Erzählungen. Es können Geschichten aus historischen Quellen sein, von Historikern konstruierte Erzählungen, "Oral History" aus der eigenen Familie, auch fiktive Geschichten. Ob Zeitgemälde, witzige Anekdoten, SPIEGEL-Stories oder Kriminal- und Skandalgeschichten: Alles ist erlaubt, sofern sich daraus eine diskutable historische Einsicht gewinnen lässt.

Literaturangaben

Jürgen Kocka/Thomas Nipperdey (Hrsg.), Theorie und Erzählung in der Geschichte, München (dtv) 1979 (Kontroverse zwischen Golo Mann und Hans-Ulrich Wehler!); Siegfried Quandt/Hans Süssmuth (Hrsg.), Historisches Erzählen, Göttingen 1982. Zwei Themenhefte von GWU: 48/1997 H. 12; 52/2001, H. 12. Literaturwissenschaftliche Einführungen: Eberhard Lämmert, Bauformen des Erzählens, urspr. Stuttgart 1955 (Klassiker); Matias Martinez/Michael Scheffel, Einführung in die Erzähltheorie, als TB München 2003. Zweimal hundert Geschichten aus der Geschichte: Harald Parigger, Geschichte erzählt - Von der Antike bis zum 20. Jh., Berlin 2. Aufl. 1966; Otto Zierer, Hundert Geschichten aus dreitausend Jahren, 3 Bde., München 1969 ff. Viele beispielhafte Auslegungen von Geschichten aus zeitgenössischen Quellen: Arno Borst, Lebensformen im Mittelalter, urspr. Frankfurt 1973 (auch als TB). Spätantiker Skandal-Ursprung der "Anekdote": Prokop, Anekdota (Geheimgeschichte!). Die bundesdeutschen Gründerjahre als Blütezeit der politischen Anekdote: Walter Henkels: "... gar nicht so pingelig." Neue Adenauer-Anekdoten, Düsseldorf 1965; sowie Hanna Frielinghaus-Heuss, Heuss-Anekdoten, zuerst Tübingen 1961.

Lehrende

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Fachzuordnungen

Studiengang/-angebot Gültigkeit Variante Untergliederung Status Sem. LP  
Geschichte / Lehramt Sekundarstufe I D1 Wahlpflicht  
Geschichte / Lehramt Sekundarstufe II D1 Wahlpflicht GS und HS
Geschichtswissenschaft / Bachelor (Einschreibung bis SoSe 2011) Kern- und Nebenfach 3.4.7; Modul 3.8; 3.6.7 Wahlpflicht 8 scheinfähig  
Geschichtswissenschaft (G) / Master of Education (Einschreibung bis SoSe 2014) 3.4.7 Wahlpflicht 5 scheinfähig  
Geschichtswissenschaft (HR) / Master of Education (Einschreibung bis SoSe 2014) 3.6.7 Wahlpflicht 5 scheinfähig  
Sozialwissenschaften / Lehramt Sekundarstufe I D1    
Sozialwissenschaften / Lehramt Sekundarstufe II D1    
Veranstaltungen für Schülerinnen und Schüler    

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Hinweise:
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Letzte Änderung Grunddaten/Lehrende:
Freitag, 11. Dezember 2015 
Letzte Änderung Zeiten:
Donnerstag, 26. September 2013 
Letzte Änderung Räume:
Mittwoch, 9. Mai 2007 
Art(en) / SWS
S / 2
Einrichtung
Fakultät für Geschichtswissenschaft, Philosophie und Theologie / Abteilung Geschichtswissenschaft
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3720004