300258 Doing interview questions. Das qualitative Interview als interaktive Praxis (MA: Soziologische Methoden - qualitativ) (S) (SoSe 2022)

Interviews gibt es nicht nur in der wissenschaftlichen Forschung. Sie sind so ubiquitär geworden, dass manche sogar schon eine „interview society“ ausgerufen haben (Atkinson/Silverman 1997), da man interviewartige Interaktionen in vielen verschiedenen gesellschaftlichen Konstellationen finden kann: in Umfragen, in Bewerbungsgesprächen, in Talk-Runden, in Beratungsgesprächen, in Gesprächstherapien, in Prüfungen, im Schulunterricht, in journalistischen Medien, in Verkaufsgesprächen u.a.

Ein Blick in die Geschichte des Interviews zeigt, dass Interviews (so wie wir sie heute kennen) gar nicht mal so alt sind (spätes 19. Jh.) und zuerst als skandalös galten: Das Interview erschien den ersten Interviewten zunächst als unmoralisch und unseriös, weil es bei diesem neu aufgekommenen Trend jemand wagte, Fremde mit Fragen zu bedrängen, die man sonst nur im privaten Raum bespricht - im wahrsten Sinne Wortes war die Etablierung des Interviews als kommunikatives Muster ein hartes (und manchmal: riskantes) Stück Arbeit.

Das Konzept des „doing“ aus der Ethnomethodologie geht davon aus, dass das, was Akteure als vorgegebene und objektive soziale Tatsachen wahrnehmen, von ihnen selbst erst in ihren Handlungen und Wahrnehmungen produziert werden muss. Die dabei verwendeten alltagspraktischen Methoden und Verfahren, d. h. das „Wie“ dieser Produktion sozialer Wirklichkeit, lassen sich untersuchen. Im Seminar werden wir uns damit beschäftigen, wie das, was man „Fragen“ (und darauf bezogene Antworten) nennt, in Interviewsituationen praktisch und interaktiv hervorgebracht wird. Wir konzentrieren uns einerseits auf Interviews in der qualitativen Sozialforschung, ziehen aber vergleichend andere interviewartige Gespräche zu Rate.

Die Teilnehmer*innen des Seminars können zwischen drei Aufgabenszenarien wählen:

(1) Teilnehmer*innen entwickeln Fragestrategien für Interviews, die das Potenzial haben, schwierig zu sein - etwa für Interviews mit Kindern, Senioren, Fremden auf der Straße oder über ambivalente Themen. In solchen Interviews ist zu erwarten, dass die praktische und interaktive Hervorbringung von Frage-Antwort-Sequenzen weniger routiniert abläuft und so besser zu beobachten ist. Solche Interviews werden geplant, durchgeführt, sowie Frage-Antwort-Passagen verglichen und analysiert.

(2) Teilnehmer*innen beschäftigen sich mit verschiedenen Perspektiven auf die praktische Hervorbringung von Frage-Antwort-Mustern in Interviewinteraktionen. Dazu werden verschiedene Vertiefungsmöglichkeiten angeboten, die aufbereitet, auf Daten angewendet und den Teilnehmer*innen aus (1) vorgestellt werden.

(3) Im Rahmen eines kleinen Forschungsprojektes mit vorgegebener Fragestellung werden Fragestrategien entwickelt und deren Anwendung untersucht.

Die Studienleistung besteht aus den Bearbeitungen der Aufgaben und zwei kleinen Präsentationen während der Vorlesungszeit, in denen die Zwischenstände aus den jeweiligen Aufgabenschwerpunkten vorgestellt werden. Im Anschluss an das Seminar kann eine Prüfungsleistung erbracht werden, in der die Arbeiten einer anderen Gruppen aufgegriffen werden: Diejenigen, die selbst Daten gewonnen haben, beschäftigen sich mit der Analyse nach Aufgabenszenario (2); diejenigen aus Aufgabe (2) gewinnen selbst Daten usw.

Die Termine für Präsenzsitzungen vor Ort gelten vorbehaltlich der Raumzuweisung und den weiteren Regelungen der Universität Bielefeld hinsichtlich des Lehr- und Prüfungsbetriebs im Sommersemesters 2022.