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Wort des Tages - Gr

Veröffentlicht am 2. Februar 2015, 06:49 Uhr

Griechisch

ἡδονή

hēdonʹē – Lust

 τὴν ἡδονὴν ἀρχὴν καὶ τέλος λέγομεν εἶναι τοῦ μακαρίως ζῆν (Diogenes Laertios 10,128 über Epikur).

(tēn hēdonʹēn archʹēn kai tʹelos lʹegomen einai tū makarʹiōs zēn).

„Wir sagen, dass die Lust Anfang und Vollendung des glücklichen Lebens sei.“

Nach epikureischer Ansicht zeigt das noch „unverdorbene“ Neugeborene am besten das Wesen der menschlichen Natur auf: Wahrnehmung und Unterscheidung von Lust und Unlust. Das ist der Anfang. Und die Vollendung ist ein Leben in Übereinstimmung mit der Natur: die Vermeidung von Unlust und die Wahrnehmung von Lust. So ist der Mensch glücklich.

Diese epikureische Ethik der Lust scheint in scharfem Widerspruch zur stoischen Ethik zu stehen. Für die Stoiker ist die wahre Natur des Menschen Vernunft (logos), die Formel für naturgemäßes und damit glückliches Leben heißt deshalb: vernunftgemäß leben. Affekte sind nach der strengen Lehre nur sekundär, sie entstehen überhaupt erst aufgrund einer Abweichung von der Vernunftnatur, sie sind wie Fieber ein Symptom für eine Störung der gesunden „natürlichen“ Funktion.

Bei näherem Hinsehen ist die epikureische Vorstellung allerdings nicht hedonistisch. Epikur definiert die Lust nämlich negativ: Als Frei-sein von Unlust. Lust ist genau dann erreicht, wenn Unlust abwesend ist. Eine positive Aufladung ist in seinem Lustkonzept nicht nur nicht vorgesehen, sondern zu vermeiden. Positive Aufladung führt letztlich wieder zur Unlust.
Für Epikur liegt nicht nur „Lust“, sondern die höchste Lust im Bereich der Negativität, der Neutralität, der Ent- aber nicht Aufladung.

Diese negative Auffassung von „Lust“ als spannungsfreier Leere erinnert an Vorstellungen der asiatischen Philosophie, nach der der Mensch danach streben soll, die Spannung, welche Gegensätze (Lust und Unlust) in ihm erzeugen, aufzulösen und zu überwinden: Das Freisein von Anhaftungen heißt dort nirwana.

Die epikureische Lust ist Freisein von dieser Gegensatzspannung, die Seele erreicht eine heitere Ausgeglichenheit wie eine ruhig daliegende Wasserfläche. Diese Form der Unerschütterlichkeit (ataraxia) unterscheidet sich dann zumindest im Ergebnis nicht mehr allzu sehr von der stoischen Auffassung von Seelenruhe (apatheia – Freiheit von Affekten). Die Wege dorthin sind verschieden und gehen von diametral entgegengesetzten Konzepten der menschlichen Natur aus.

Peter Prestel


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