Noch in der 1977 erschienenen elften Auflage eines Standardwerks zum deutschen Bauernkrieg glaubte der einflußreiche Agrarhistoriker Günther Franz, aus der Perspektive der Aufständischen ein deprimierendes Resümee ihrer Niederlage ziehen zu können: 1525 "schied der Bauer für fast drei Jahrhunderte aus dem Leben unseres Volkes aus. Er spielte fortan keine politische Rolle mehr." Die Masse der ländlichen Bevölkerung als passiver Adressat herrschaftlicher Ausbeutung und Kontrolle! Darf (oder gar muß) die politische Geschichtsschreibung demnach rund drei Viertel der frühneuzeitlichen Gesellschaft als ohnmächtige Opfer adliger, kirchlicher und staatlicher Unterdrückung marginalisieren? Die einschlägigen Forschungen der letzten 30 Jahre haben dieses düstere Szenario nachhaltig aufgehellt und damit die zahllosen Bewohner vormoderner Dörfer, Weiler und Höfe als selbständige und eigensinnige politische Subjekte rehabilitiert.
Die Neubewertung ist das Ergebnis breit gestreuter empirischer Untersuchungen, die allerdings ein verwirrend disparates Bild von den Wertvorstellungen, Handlungsmöglichkeiten und Verhaltensweisen der historischen Akteure enthüllen: Von der institutionalisierten Teilhabe an der lokalen und mitunter auch territorialen Verwaltung über legale Beschwerde- und Klageverfahren bis hin zu passiver Verweigerung und gewaltsamem Protest beschritten die Untertanen ganz verschiedenartige Wege, um ihre Interessen zu artikulieren und wenigstens teilweise durchzusetzen. Hinzu kommt, daß die Gewichtung kooperativer und konfrontativer Momente im Umgang mit obrigkeitlichen Instanzen nicht nur epochal und räumlich stark schwankte, sondern zudem oft innerhalb der ländlichen Gesellschaft zwischen den einzelnen Sozial- und Statusgruppen variierte.
Angesichts dieser Befundlage verwundert es kaum, daß sich die Ansätze zur theoretischen Systematisierung des Politischen im ländlichen Bereich weitgehend auf Abstraktionen mittlerer zeitlicher, geographischer und sachlicher Reichweite beschränken. Das gilt beispielsweise für die Herausbildung einer dörflichen Autonomiekultur in oberdeutschen Gemeinden ("Kommunalismus"), für die Mechanismen obrigkeitsfeindlicher Mobilisierung ("Gemeindeprotest", "Gemeinderevolte") oder für die scharfe Ausprägung adeliger Dominanz in vielen Gebieten östlich der Elbe ("Gutsherrschaft"). Das Seminar zielt darauf, anhand der Diskussion und exemplarischen Veranschaulichung solcher Interpretationskonzepte einen Überblick der Strukturbedingungen, Praxisformen und langfristigen Wandlungen ländlicher Politik im deutschsprachigen Mitteleuropa von etwa 1450 bis 1850 zu gewinnen.
Günther Franz, Geschichte des deutschen Bauernstandes vom frühen Mittelalter bis zum 19. Jahrhundert (= Deutsche Agrargeschichte, Bd. 4), 2. Aufl., Stuttgart 1976; Heide Wunder, Die bäuerliche Gemeinde in Deutschland, Göttingen 1986; André Holenstein, Bauern zwischen Bauernkrieg und Dreißigjährigem Krieg (= Enzyklopädie deutscher Geschichte, Bd. 38), München 1996; Werner Troßbach, Bauern 1648-1806 (= Enzyklopädie deutscher Geschichte, Bd. 19), München 1993.
Rhythmus | Tag | Uhrzeit | Format / Ort | Zeitraum |
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Studiengang/-angebot | Gültigkeit | Variante | Untergliederung | Status | Sem. | LP | |
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Geschichte / Lehramt Sekundarstufe II | A2; A3; B1; B2; B4 | Wahlpflicht | GS | ||||
Geschichtswissenschaft / Bachelor | (Einschreibung bis SoSe 2011) | Kern- und Nebenfach | 2.2.2; 3.1.3; 3.4.7 | Wahlpflicht | 4 | benotet | |
Geschichtswissenschaft (Hauptfach) / Magister | Wahlpflicht | GS | |||||
Politikwissenschaft / Bachelor | (Einschreibung bis SoSe 2009) | 3.1 |